Alles begann mit einem Tintenfisch. Kraken-Orakel Paul zog bei der Fußball-WM 2010 die ganze Welt mit seinem Prognosen in den Bann - weil der Kopffüßer aber auch immer richtig lag. So schaffte Paul auch, was vor ihm noch kein Weichtier geschafft hat. Er wurde zum Ehrenbürger der spanischen Stadt Carballino und hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag mit Geburtsdatum (20. Jänner 2008 im Atlantik bei Weymouth) und Sterbedatum (26. Oktober 2010 in Oberhausen). Zu seinen Lebzeiten forderten Tierrechtler seine Freilassung und Spaniens Ministerpräsident wollte ihn in Spanien "in Sicherheit bringen".

So viel Ehre für einen auch als "Okrakel" bekannten Oktopus - das regt jetzt vor der EM 2012 Nachahmer an. Ja, eine ganze Flut von tierischen Orakeln ergießt sich über die Medienlandschaft.

Den höchsten Bekanntheitsgrad in unseren Breiten genießt wohl die Kuh Yvonne. Das in Kärnten geborene Rind hatte 2011 durch eine wochenlange "Flucht" für Schlagzeilen gesorgt. Mittlerweile lebt die Kuh glücklich und zufrieden auf dem Gnadenhof Gut Aiderbichl und soll für den Sender Bayern 3 die EM-Spiele tippen. Wie? Zwei Kübel mit Kraftfutter und Nationalflaggen darauf werden ihr geboten - sie darf (den Sieger) wählen. "Weil sie Charakter und Persönlichkeit hat", erklärt ein Sender-Sprecher Yvonnes Orakel-Qualifikation.

Kickendes Trörakel

Doch Yvonne muss sich mit zahlreichen anderen Tierchen mit angeblich hellseherischen Fähigkeiten messen. So gibt es allein drei verschiedene Elefanten-Orakel. Nelly im deutschen Hodenhagen schießt als "Trörakel" selbst mit Bällen auf Tore, Citta im polnischen Krakau frisst hingegen aus Kübeln oder gleich ganze Melonen. Und Shahrukh und Shanti in Hamburg futtern Flaggen aus Obst und Gemüse. Und sie können auch Unentschieden vorhersagen, indem nämlich jeder Elefant je eine der Fahnen verspeist.

Doch jetzt geht es erst richtig los. Mini-Bulldogge Xaver, ein direkter Konkurrent von Yvonne, tippt für Bayern 1, indem er die Wahl hat, durch zwei verschiedene Tore zu laufen. Auf der Insel Usedom tippen Möwen, indem sie sich vor Flaggen liegendes Gebäck einverleiben. Die Möwen sagen übrigens einen polnischen Sieg im Eröffnungsspiel gegen Griechenland voraus.

Die Ukraine setzt auf die Fähigkeiten von 380-Kilo-Eber Funtik, der das macht, was Schweine am besten können - er frisst. Auch aus mit Nationalfarben versehenen Kübeln. Dazu gibt es in Freiburg ein noch namenloses Wollschwein mit Fressnäpfen und das Minischwein Uli Fairkel, das in einer eigenen Arena durch Tore zu laufen hat.

Alle machen mit

Kurz Luft holen, jetzt kommt der Schnelldurchlauf. Papagei Lorenzo kickt selber, das Frettchen-Duo Speedy und Schneewittchen futtert, wie Ziege Traudl orakelt, das ist noch ein Geheimnis. Dazu kommen die Zwergotter Mörmel und Ferret, Affendame Sina, Meerschweinchen Herr Zottel, vier Schweizer Hasen und Orakel-Alpaka Kasimir. Aufatmen darf Polen - auch Seehund Tik tippte in Bangkok auf die Gastgeber.

Nur im "Sea Life Centre" Oberhausen, der alten Wirkungsstätte von Krake Paul, gibt es kein Orakel mehr. Weil Paul nämlich ein Mythos sei und es auch bleiben solle. Stattdessen wurde in Oberhausen ein Axolotl, also ein mexikanischer Schwanzlurch, als Pauls Nachfolger auserkoren. Tippen darf das blasse Viecherl allerdings nicht. Um den Paul-Mythos nicht zu gefährden und sich selber nicht zu blamieren (oder vielleicht auch, weil es schwierig ist, einen Axolotl zu motivieren) wurde der Lurch nur als EM-Glücksbringer der deutschen Mannschaft vorgestellt.

Trotzdem avancierte der Axolotl sofort zum Medienstar und der "Kölner Express" analysierte: "Jetzt muss ein Schwanzlurch Jogi (Löw) aufrichten". Was für eine Aufregung, wenn das Paul noch hätte erleben können. Die Sinnfrage? Die stellt man besser nicht, Hauptsache die EM wird ein tierisches Vergnügen.