Normalerweise sitzen in der großen Aula von Coverciano Journalisten und hören zu, was die Spieler oder der Trainer der italienischen Nationalmannschaft zu sagen haben. Montagmittag nahm Demetrio Albertini, Vizepräsident des italienischen Fußballverbandes, vor dem gefüllten Plenum Platz.

"Mimmo wird nicht zur EM fahren", sagte Albertini. Es klang harmlos. Mimmo, das ist der Spitzname von Domenico Criscito. Weil die Staatsanwaltschaft Cremona gegen den 25-Jährigen von Zenit St. Petersburg wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Sportbetruges ermittelt, strichen die Verantwortlichen den Nationalspieler aus dem EM-Kader.

Criscito ist der bislang Prominenteste unter den mutmaßlich Beteiligten im unendlich wirkenden italienischen Wettskandal. Zwei Polizeifahrzeuge fuhren am Montagmorgen um 6.30 Uhr im Trainingszentrum der Nationalelf in Coverciano bei Florenz vor und stellten Criscito den Ermittlungsbescheid zu. Dann durchsuchten die Beamten das Zimmer des früheren Spielers des FC Genua, der an der Manipulation des Spiels Lazio Rom gegen FC Genua im Mai 2011 beteiligt gewesen sein soll. Insgesamt 19 Festnahmen, darunter 13 Profis, sowie 30 Hausdurchsuchungen meldete die Staatsanwaltschaft Cremona am Montag.

Mauri und Conte im Visier

Wieder einmal wird die italienische Nationalmannschaft in der Vorbereitung auf ein wichtiges Turnier erschüttert. Kurz vor der WM 2006 war die Nachricht vom Calciopoli-Betrugsskandal in das Idyll von Coverciano geplatzt. Luciano Moggi, Sportdirektor von Juventus Turin, hatte sich mit seinen Helfern ein Netz höriger Schiedsrichter gestrickt. Doch diesmal ist die Nationalmannschaft auch direkt in den Skandal verwickelt.

Am Montag nahmen die Ermittler zudem Stefano Mauri, den ehemaligen Teamspieler und Lazio-Kapitän fest. Er wird beschuldigt, an der Manipulation der Spiele Lazio gegen FC Genua und Lecce gegen Lazio im Mai 2011 beteiligt gewesen zu sein. Sogar der meistgefeierte Trainer der Serie A hat für die Ermittler seine Unschuld verloren. Antonio Conte, Meistermacher von Juve, soll in seiner Zeit als Siena-Trainer in illegale Absprachen bei den Spielen gegen Albinoleffe und Novara verwickelt gewesen sein. Polizisten durchsuchten seine Wohnung, beschlagnahmten Computerdaten sowie ein Handy.

Wie Criscito, Conte und Mauri ergeht es den Protagonisten des "Calcio" beinahe im Wochentakt. Gerade jubelten ihnen die Fans noch zu, jetzt fürchten sie um ihren Ruf und ihre Karriere. Criscito und Conte beteuerten am Montag ihre Unschuld. "Wenn wir wollten, könnten wir ewig weiterermitteln, aber dazu fehlt mir das Personal", sagte Staatsanwalt Roberto Di Martino. Erstmals schlugen die Ermittler im vergangenen Juni zu, als unter anderen der ehemalige Nationalspieler Beppe Signori verhaftet wurde, weil er Teil eines internationalen Wettkartells mit Hauptsitz in Singapur sein soll. Im Dezember 2011 nahmen Beamte den Kapitän von Atalanta Bergamo, Cristiano Doni, fest. Doni wurde für dreieinhalb Jahre gesperrt.

Ermittlungen gehen voran

Weil nun mehrere Kronzeugen mit der Justiz zusammenarbeiten, kommen die Ermittlungen stückchenweise voran. Zu den Verdächtigen gehören auch Ex- Genua-Profi Omar Milanetto, der am Montag festgenommen wurde, sowie der Kapitän von Chievo Verona, Sergio Pellissier. Seine Wohnung wurde durchsucht. Auch gegen Siena-Präsident Massimo Mezzaroma wird ermittelt. Im Juli soll ein italienisches Sportgericht erste Urteile fällen. Bislang wurden 51 Personen im Wettskandal verhaftet.