Borussia Dortmund ist im Siegestaumel, vor wenigen Jahren war der Verein praktisch pleite. Wie haben Sie die wirtschaftliche Basis für das doppelte sportliche Meisterstück gelegt?
HANS-JOACHIM WATZKE: Wir haben einen einfachen, ganzheitlichen Ansatz, kein Ressortdenken. Trainer Jürgen Klopp, Michael Zorc und ich haben uns irgendwann einmal geschworen, dass wir alle wichtigen Entscheidungen nur einstimmig treffen. Sonst treffen wir sie nicht. In der Zeit der Krise 2005, 2006 habe ich zwei Jahre lang jeden Tag nur damit verbracht, zu sehen wie es weitergeht, da hat man keinen Sinn für große Philosophien. Michael Zorc und ich haben nur immer wieder überlegt, wo sind unsere Chancen, Risiken, Handicaps. Das Ergebnis war immer das gleiche: Unsere Chance ist der Verein. Ein großer Klub, ein großer Name mit historischen sportlichen Erfolgen. Hier lag das Risiko, verbunden mit einer großen Hypothek, wenn Du kein Geld hast. Wir mussten also eine Mannschaft mit westfälischen Grundtugenden auf den Rasen schicken, die sich bedingungslos ins Spiel haut, laufintensiv, leidenschaftlich spielt. Das geht am besten mit jungen Spielern, die idealerweise nicht zu teuer sind.

Ist so Erfolg im Fußball planbar?
WATZKE: Durchaus. 2007/2008 hatten wir schon wieder so viel Luft, dass wir sagen konnten: Da ist ein hoch talentierter Spieler mit Eigenschaften, die wir wollen - vor allem Leidenschaft und Gier - für den können wir eine gewisse Summe zahlen. Großkreuz, Bender, Hummels und Schmelzer haben wir so verpflichtet. Erst dann kam der Trainer. Und den haben wir bewusst ausgesucht. Der damals mit Mainz gerade nicht aufgestiegene Jürgen Klopp stand genau für diesen leidenschaftlichen Spielstil. Dazu haben wir eine außergewöhnliche Trefferquote bei den Transfers gehabt. Das ist die große Stärke von Jürgen: Wir kaufen die Rohdiamanten ein, er macht die meisten zu Diamanten. Unglücklicherweise hat Jürgen unseren Plan gleich ausgeplaudert und von Vollgasveranstaltung gesprochen. Respekt. Hat er hinbekommen.

Bei den BVB-Fans borden jetzt die Phantasien über. Gibt es für die Zukunft Visionen, die öffentlichkeitstauglich sind?
WATZKE: Wir wollen einfach weiter diese Art Fußball rüberbringen. Unser Slogan "Echte Liebe" ist kein Marketinggag. Dieses "echt", das ist der Anspruch. Wir wollen alles, was wir machen, echt machen, nicht künstlich. Sämtliche Entscheidungen treffen wir vor diesem Hintergrund.

Echt, dafür hätte ich jetzt schon gerne ein Beispiel.
WATZKE: Wir haben in den letzten Wochen intensiv diskutiert, ob wir unser Trainingscamp, das eines der schönsten Europas ist, mehr öffnen mit Gastronomie und mehr Merchandising. Aber wir werden das wahrscheinlich nicht machen, obwohl wir dann Geld liegen lassen.

Sie wollen also den Bayern nicht auch noch den Rang des Merchandising-Meisters ablaufen?
WATZKE: Zumindest nicht am Standort Trainingscamp.

Ist Bayern München ein wirtschaftliches Vorbild für Sie?
WATZKE: Absolut, auch wenn wir die Umsatzzahlen der Bayern nie erreichen können, weil wir in der Struktur Nordrhein-Westfalens gefangen sind. Bayern ist viel reicher, hat mehr Unternehmen, Bayern München hat als Verein in seinem Bundesland praktisch keine Konkurrenz. Allein unsere direkte Konkurrenz Schalke 04 bedeutet, dass wir 40 bis 50 Millionen Euro Umsatz nie machen können, die Bayern München hat.

Konkurrenz ist doch belebend.
WATZKE: Sportlich ja, in klingender Münze nicht. Unser Stadion ist sowieso immer ausverkauft. Potenzielle Sponsoren reden eben nicht nur mit uns. Ein Stück werden wir schon noch an die Bayern rankommen. Wir haben vor ein paar Jahren noch hundert Millionen Euro Umsatz gemacht, voriges Jahr waren es 200, Bayern macht gute 300. Das letzte Drittel werden wir nicht ganz schaffen.

Uli Hoeness hat vor kurzem ausgeplaudert, dass er den BVB in seiner Existenzkrise mit zwei Millionen vor der Pleite bewahrt hat.
WATZKE: Die hat er meinem Vorgänger gegeben, mein Privileg war, sie zurück zu zahlen. Ich habe den Laden mit 122 Millionen Euro Schulden übernommen.

Wie viele Schulden sind es jetzt?
WATZKE: 40 Millionen. Tatsächlich haben wir 140 Millionen Euro Schulden abgebaut, weil wir das Stadion zurückgekauft haben. Wer dann glaubt, sagen zu müssen, die zwei Millionen hätten 2004 Borussia Dortmund gerettet, da kann ich jetzt nicht den Sinn erkennen. Ich kann auch alle beruhigen: Das wird nicht mehr vorkommen. Und sollte es mal andersrum kommen, würden wir das natürlich auch machen.

Dann erlauben Sie mir auch einen kleinen Seitenhieb: Als einziger deutscher Klub notiert der BVB an der Börse. Das passt doch echt nicht. Oder spielt man da so in der Bezirksliga, dass man ganz befreit sein kann?
WATZKE: Die meisten Leute haben von diesem Thema keine Ahnung. Das fängt ja schon damit an, dass wir keine Aktiengesellschaft, sondern eine GmbH und Co KG auf Aktien sind, was niemand versteht. Da hat der Aktionär nicht die gleichen Rechte wie in einer AG, kann beispielsweise nicht den Vorstandsvorsitzenden abwählen. Das ist zugegeben nicht unbedingt attraktiv. Aber immerhin sind 62 Millionen Aktien weggegangen. Die Leute, die am Anfang elf Euro gezahlt haben - zu denen gehöre ich auch - die sollen jetzt nicht lamentieren, die haben, so wie ich auch, eine unternehmerische Fehlentscheidung getroffen. Ich habe den Eindruck, die Aktionäre sind jetzt absolut zufrieden. Die meisten sind bei Kursen unter oder um einen Euro eingestiegen. Jetzt liegen wir zwischen 2,50 und drei Euro. Unser Aktionär ist nicht der klassische, sondern jener, der große Sympathie für uns hat. Und wir werden ja erstmals auch eine Dividende zahlen.

Aus wie viel Gewinn?
WATZKE: Zum Halbjahr waren es 16,7 Millionen, bis zum 30. Juni kommen wohl noch ein paar Millionen dazu.

Das große Geld liegt in der Champions League. Wieso hatte der BVB da nicht genug Format?
WATZKE: Da haben wir uns nicht gut verkauft. Darüber brauchen wir gar nicht reden. Das Gute daran ist, wir müssen ja noch Luft nach oben haben. Wir hatten keine Erfahrung. International wird viel härter und gleichzeitig defensiver gespielt, es gibt weniger Torchancen, es wird anders gepfiffen. Wir waren da nicht arglos. Wir hatten Möglichkeit A, nämlich zwei, drei erfahrene Spieler einzukaufen, damit hätten wir unsere Philosophie zum Einsturz gebracht, oder Möglichkeit B: Wir bleiben bei unserer Philosophie und nehmen in Kauf, dass der damit verbundene Lernprozess auch mit Misserfolgen behaftet sein kann. Es liegt sicher nicht an der Qualität, sonst kann man nicht vier Mal gegen Bayern München gewinnen. Es ist die Erfahrung. Nächstes Jahr werden wir uns viel besser verkaufen.

Kann man ewig Vollgas fahren?
WATZKE: Wir wissen nicht, wo unsere Grenzen sind. Ich habe vor einem Jahr gesagt, wir können den Titel nicht verteidigen.

Und, haben Sie jetzt eine Wette verloren?
WATZKE: Ich wette nicht. Wenn alle meine Prognosen eingetroffen wären, die ich hier freitags gegenüber Jürgen und Michael abgegeben habe, würden wir mit der zweiten Mannschaft in der Regionalliga spielen. Ich bin der Pessimist in diesem Verein, Michael der Realist und Jürgen der Optimist. Jetzt haben wir historisch eines der besten Ergebnisse überhaupt eingefahren. Heute können wir beim Pokalendspiel noch eins draufsetzen, was noch nie einer geschafft hat. Wir sind ein Experiment ohne Limit.

Wie nachhaltig kann das sein? Kann Borussia dauerhaft so eine Größe im europäischen Fußball sein wie Bayern München?
WATZKE: Die Frage beschäftigt uns eigentlich nicht, weil die Antwort ist einfach ja oder nein. Wir versuchen, an unseren Fundamenten zu arbeiten. Das ist Arbeit genug für die nächsten Jahre. Wirtschaftlich ist das kein Thema mehr, sportlich heißt die Aufgabe, Leidenschaft, Kreativität und Mut zu behalten. Mut ist ganz wichtig.

Welchen Mut meinen Sie konkret?
WATZKE: Junge Kagawas zu holen. Bayern spielen Heldenfußball, wir Konzeptfußball. Die Bayern funktionieren über ihre Stars, wir über die Mannschaft. Wenn wir das auf Dauer durchhalten, können wir denen ernsthaft Paroli bieten.

Was macht man denn mit einer Mannschaft, aus der man Topspieler wie Barrios oder Kagawa herausnimmt?
WATZKE: In einem Kollektiv kann es nur Normalspieler geben. Shinji Kagawa, den Sie für 350.000 Euro eingekauft haben, ist bei Ihnen zum Star geworden, wird angeblich um mindestens 15 Millionen Euro ein Jahr vor Vertragsende verkauft. Können Sie schon mehr sagen? WATZKE: Noch nicht. Er wollte den Vertrag nicht verlängern. Dann müssen wir natürlich sehen, dass wir eine Ablöse für ihn erzielen. Es ist natürlich nicht so, dass wir nicht mit so etwas gerechnet hätten. Deshalb haben wir ja im Vorfeld auch Marco Reus geholt. Wegen einem Spieler oder zweien bricht nicht alles zusammen.

Kagawa war jedenfalls ein goldener Griff.
WATZKE: Das muss man nicht auf ihn reduzieren, davon haben wir schon mehr gemacht. Wir haben auch Sven Bender im Prinzip für nichts bekommen und auch Lukas Piszczek ablösefrei geholt. Auch Schmelzer war so ein guter Griff.

Beschreibt das die Geschäftspolitik treffend?
WATZKE: Das ist ja unsere Chance.

Noch etwas ganz anderes: Finden Sie es auch interessant, wenn Spitzenmanager am Samstag den Nadelstreif abwerfen und das Trikot überziehen? Was geht da vor?
WATZKE: Man bekennt sich, taucht in eine Solidargemeinschaft ein. Da ist ja das, was unserer Gesellschaft im Moment abgeht. Es macht ja jeder nur noch sein eigenes Ding.

Sie haben sich vor ein paar Wochen auch schon sehr kritisch über die EM in der Ukraine, konkret den Fall Timoschenko, geäußert.
WATZKE: Das war schon vor acht Wochen. Inzwischen beschäftigt sich die halbe Nation damit. Das muss nicht zwingend an mir gelegen haben. Ich habe da keinen politischen Ansatz, obwohl ich schon eine Vorstellung davon habe, wer dort die Guten und wer nicht die Guten sind. Dazu will ich mich aber nicht äußern. Mein Ansatz ist ein humanitärer. Es kann einfach nicht sein, dass man einer ehemaligen regierungschefin, der aktuellen Oppositionsführerin, die aus fragwürdigen Gründen eingesperrt ist, eine adäquate Behandlung verweigert. Das kann einfach nicht der Standard in Europa sein.