Warum droht die internationale Politik damit, den EM-Spielen in der Ukraine fernzubleiben?

Auslöser für den angedrohten Boykott ist die Behandlung der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die sich im Hungerstreik befindet. So wird dem Präsidenten Viktor Janukowitsch und der ukrainischen Regierung vor allem die Nichtachtung rechtsstaatlicher Prinzipien vorgeworfen. Vorreiter der Boykott-Pläne ist Deutschland, aber auch Mitglieder anderer Staaten sowie EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso erwägen eine Absage ihres Kommens.

Warum hat die Ukraine neben Polen den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußball-EM-Endrunde 2012 bekommen?

Präsident Viktor Juschtschenko hatte wenige Tage vor der Vergabe der EM-Endrunde 2007 das ukrainische Parlament aufgelöst, vieles deutete auf eine weitere politische Annäherung an den Westen hin. UEFA-Boss Michel Platini musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die Vergabe im Sinne der EU-Erweiterung einen politischen Hintergrund gehabt hätte. Und nicht nur jenen, dass man kleinere Fußballnationen fördern wolle. Auch Italien sowie Ungarn/Kroatien hatten sich für die EM beworben.

Könnte ein anderes Land einspringen?

Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, hat eine kurzfristige Verlegung der Spiele von der Ukraine nach Deutschland kategorisch ausgeschlossen. "Die Menschen in der Ukraine haben sich diese EM verdient." Anders sieht das der spanische Verbandsboss Angel Maria Villar, der der UEFA eine Übernahme der Spiele angeboten hat. Die Idee, dass sogar Österreich einspringen könnte, wies ÖFB-Präsident Leo Windtner zurück: "Das ist absolut illusorisch."

Wo und wann wird in der Ukraine gespielt?

Die Gruppen B (mit den Niederlanden, Dänemark, Portugal und Deutschland) und D (mit der Ukraine, Schweden, Frankreich und England) bestreiten ihre Vorrundenspiele in der Ukraine. Austragungsorte sind Charkiw (dort ist Julia Timoschenko inhaftiert), Lemberg, Donezk und Kiew. In Donezk findet am 27. Juni auch das erste Halbfinale statt, das Endspiel der Europameisterschaft 2012 geht am 1. Juli in der ukrainischen Hauptstadt Kiew über die Bühne.

Könnte die Europameisterschaft sogar abgesagt bzw. verschoben werden?

"Solche Fragen haben wir schon ganz generell, nicht auf die Ukraine bezogen, durchdiskutiert", sagt Martin Kallen, EM-Beauftragter der UEFA. Der allerletzte Ausweg könnte eine Absage des Turniers sein. "Da gäbe es nur eine Möglichkeit: Dann müsste man an eine Verschiebung des Turniers denken, in ein anderes Jahr", erklärte der Schweizer. Zurzeit sehe er aber keinen Ansatzpunkt für eine Absage. "Aber wir beobachten die Situation ganz genau."

Wie sicher ist die Fußball- Europameisterschaft in der Ukraine?

Neben der Menschenrechtsverletzung im Fall Julia Timoschenko sorgte vergangenen Freitag eine Anschlagsserie im ukrainischen Dnjepropetrowsk (vier Bomben waren explodiert) für Aufregung. Doch geht die UEFA zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass die Anschläge nichts mit dem Euro-Turnier zu tun haben. Außerdem hätten die zuständigen Behörden versichert, "die Sicherheits-lage unter Kontrolle zu haben".

Wie beurteilt Österreich die Situation?

Im Fall Julia Timoschenko ist laut ÖFB-Präsident Leo Windtner natürlich die Politik gefordert: "Sie muss vorangehen und mögliche Schritte setzen. Der Sport kann maximal moralische Unterstützung leisten, aber alleine sicherlich keine menschenrechtlichen Themen lösen." Eine erste Konsequenz zog unterdessen Sportminister Norbert Darabos. Um ein Zeichen zu setzen, wird der SPÖ-Politiker Österreichs Testspiel gegen die Ukraine am 1. Juni in Innsbruck fernbleiben.

Wie sehen eigentlich die Ukrainer selbst die derzeitige Situation in ihrem Land?

Während sich die internationale Politik derzeit für Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko starkmacht, hält sich der Beistand für die Inhaftierte im eigenen Land in Grenzen. Vor allem deswegen, weil die führenden politischen Köpfe des Landes seit Jahren als kriminell verschrien sind. Angesichts der in Straflagern verbreiteten schweren Krankheiten wie Tuberkulose und Aids halten viele Ukrainer Timoschenkos Probleme für Kleinigkeiten. Verbreitet ist die Meinung, dass nicht nur Timoschenko hinter Gitter müsse, sondern auch ihr politischer Erzfeind, Präsident Viktor Janukowitsch, der bereits in seiner Jugend einmal im Gefängnis saß. Dass das EM-Turnier abgesagt werden könnte, daran glaubt in der Ukraine hingegen so gut wie niemand.

Wie verhält sich EM-Partner Polen?

Polen, neben der Ukraine das zweite Gastgeberland der Euro 2012, schweigt sich bisher zu den Forderungen nach einem politischen Boykott aus. Grundsätzlich hat in Polen eine erfolgreiche Austragung der EM gemeinsam mit der Ukraine aber hohe Priorität. "Die EM ist eine gemeinsame Veranstaltung Polens und der Ukraine und sie sollte bestmöglich verlaufen", erklärte der polnische Europaparlamentarier Pawel Kowal, der die eigene Regierung zu "vernünftigen Reaktionen" aufrief.