Er ist überall. In Prag schmücken seine Trikots die Schaufenster. „Jagr“-Sprechchöre empfangen die tschechische Ikone in der Eisarena vor jedem Spiel der „Druzstvo“. Auf dem Eis drückt er seine einzigartige Präsenz lautstark aus. Mit dem Stock klopfend fordert er wie eh und je den Puck von seinen Mitspielern. Die sind nun halb so alt wie ihr 43-jähriger Teamkollege. Der Name Jaromir Jagr drückt bereits der dritten Eishockey-Generation den Stempel auf. In den 90er-Jahren wurde die damals landestypische Frisur, die „Vokuhila“ (vorne kurz, hinten lang), gar zum „Jagr“ umbenannt. Und keine der legendären Rückennummer – wie Wayne Gretzkys 99, Eric Lindros’ 88 oder Mario Lemieux’ 66 – hat solch einen Hintergrund wie Jagrs Nummer 68. Die ist nämlich ein politisches Statement, ein Zeichen des Widerstandes des 1972 geborenen Ausnahmetalents gegen ein ganzes System.

Vier Jahre vor Jagrs Geburt war sein Großvater während des Prager Frühlings, des niedergeschlagenen Aufstands gegen die sowjetische Besatzung 1968, verstorben. Die vormals wohlhabende Familie wurde durch das kommunistische Regime zwangsenteignet, verlor den Landbesitz in Böhmen. Jahre später rebellierte Jagr auf seine Art. Mit einem Foto von US-Präsident Ronald Reagan in der Geldtasche sowie der eingeritzten Nummer 68 in Gedenken an seinen Opa auf dem Eishockey-Helm. Die Nummer wurde zum Markenzeichen.

Nicht nur im tschechischen Nationalteam ist Jagr omnipräsent. Mit Unterbrechungen spielte der Torjäger unfassbare 21 Saisonen in der NHL. In den ersten beiden Jahren holte er mit den Pittsburgh Pengiuns den Stanley Cup. Seit 2005 ist er Mitglied des exklusiven Triple-Gold-Klubs (Stanley-Cup-Sieger, Olympia-Gold und WM-Gold). Erst heuer schraubte er sich mit dem 722. Tor auf den fünften Platz der ewigen NHL-Torschützenliste. Doch Jagr bleibt hungrig: Seine 22. Spielzeit in der besten Eishockey-Liga der Welt steht nach Vertragsverlängerung bei den Florida Panthers bevor.

Den Rücktritt aus der „Druzstvo“ revidierte Jagr heuer kurz vor der Heim-WM in Prag. Die Schritte wirken jedoch zunehmend behäbiger, die Bartstoppeln schimmern mittlerweile weiß. Seine 43 Jahren lassen sich nicht leugnen, und dennoch führt der älteste Akteur des Turniers Spieler an der Nase herum, die zum Start seiner Karriere noch gar nicht geboren waren. Warum er sich das alles noch immer antut, erklärt Jagr in vier Worten: „Ich liebe dieses Spiel.“

MARTIN QUENDLER, PRAG