Und wieder einmal soll ein Manager die SPÖ retten. Was mit Franz Vranitzky gut ging, mit Viktor Klima weniger, soll nun ÖBB-Chef Christian Kern zu Stande bringen: der Sozialdemokratie die Kanzlerschaft retten, die ÖVP auf Distanz halten und die Freiheitlichen bremsen.

Kanzlerreserve

Schon seit Jahren gilt der smarte 50-Jährige als Kanzlerreserve, auch wenn er entsprechende Ambitionen stets dementierte. Doch wussten Kern-Kenner immer wieder zu berichten, dass sich der kühle Manager akribisch auf die höheren Weihen vorbereitete.

Ein Bahn-Chef hat es da leichter als so manch anderer. Mit Landespolitikern ergibt sich automatisch das ein oder andere Gespräch und mit der Gewerkschaft hat man es als oberster Eisenbahner ohnehin ständig zu tun.

Gerade dass der versierter Netzwerker die Belegschaftsvertretung der ÖBB stets im Griff hatte, unterscheidet ihn von so manchem seiner Vorgänger. Dazu kommt, dass Kern den Dauer-Patienten Bundesbahn rasch aufpäppelte und stabil in die schwarzen Zahlen führte.

Souveräner Flüchtlingseinsatz der Bahn

Dass es ein Manager mit dem linken SPÖ-Flügel nicht leicht hat, ist keine Neuigkeit. Doch auch da setzte Kern ein Zeichen, das ihm ernst zu nehmenden Widerstand bei seiner Kür aus dieser Ecke erspart. Die Bahn bewältigte den Flüchtlingsstrom des vergangenen Spätsommers souverän und Kern machte klar, dass jetzt nicht die Zeit für "Dienst nach Vorschrift", übersetzt für Fahrschein-Kontrollen, sei.

Was Kern so gut wie jeder zugesteht, der mit ihm zu tun hat, ist Geschick. Der gebürtige Simmeringer, der eher so spricht, als wäre er auf Schloss Schönbrunn groß geworden, kann sich auf Gesprächspartner einstellen. Auch wenn er mit dem Chic eines Dressmans durchs Land geht und ihm Eitelkeit wohl nicht ganz fremd ist, sagt dem künftigen Kanzler kaum jemand Arroganz oder Abgehobenheit nach.

Unpolitischer Haushalt

Aufgewachsen war er in den 1960er-Jahren in einem eher unpolitischen Haushalt als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs im Arbeiterbezirk Wien-Simmering. An die Spitze zog es ihn früh, nämlich in der Funktion des Schulsprechers, übrigens am selben Gymnasium, das auch Klima und Thomas Klestil besuchten. Später gründete er eine Grüne Liste, fand dann über den VSStÖ aber doch zur SPÖ, bei der der studierte Kommunikationswissenschafter und Absolvent eines postgradualen Lehrgangs im Schweizer St. Gallen als Büroleiter und Pressereferent für den damaligen Beamten-Staatssekretär und späteren Klubobmann Peter Kostelka diente.

Pressesprecher sollte nicht Kerns Lebensaufgabe werden. Er wechselte in den Verbund als nach Eigendefinition "siebenter Zwerg von links", turnte sich aber von Funktion über Funktion bis hinauf in den Vorstand. Von dort weg engagierte ihn Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) als ÖBB-Sanierer. Dass er den Job erledigte, dankte ihm seine Mentorin eher weniger. Die enge Vertraute von (mittlerweile Alt-Kanzler) Werner Faymann befand 2014 in einem viel beachteten Interview, dass Kern wohl ein "nicht so guter Politiker" wäre.

Sie zu widerlegen, hat Kern vermutlich wenig Zeit. Denn auch wenn die ÖVP die Bereitschaft zum Neustart betont, wird die Volkspartei kaum Lust haben, Kern einen allzu großen Kanzlerbonus zu gönnen. Parteiintern wiederum sammelt sich zwar derzeit in der Not alles hinter dem neuen Chef, doch wird es selbst für diesen nicht leicht sein, den Spagat zwischen einem Hans Niessl und einer Sonja Wehsely zu schaffen.

Immerhin hat Kern inhaltlich freie Bahn. Denn er, der schon seit Jahren erfahrene politische Berater aus den Zeiten eines Viktor Klima und Alfred Gusenbauer um sich schart, vermied es bisher, sich allzu deutlich zu positionieren. Weggefährten beschreiben ihn in erster Linie als pragmatisch, was in der aktuellen Situation nicht schaden sollte.

Privat weiß man über Kern, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger gerne soziale Medien bespielt, dass er in zweiter Ehe mit der früheren Verbund-Kollegin Eveline Steinberger verheiratet und Vater von vier Kindern ist, sowohl klassische als auch Unterhaltungsmusik schätzt, zur Jagd geht und alle möglichen Sportarten von Tennis über Laufen bis Mountain-Biken betreibt. Seine fußballerische Leidenschaft ist die Wiener Austria, in deren Kuratorium er auch sitzt - nicht die schlechteste Präferenz für ein wohliges Leben an der SPÖ-Spitze, tummeln sich dort doch rote Schwergewichte wie (FSG-und Austria-Chef) Wolfgang Katzian, (Wiens Bürgermeister) Michael Häupl und (Pensionisten-Chef) Karl Blecha.

Zur Person: Christian Kern, geboren am 4. Jänner 1966 in Wien. Vier Kinder aus zwei Ehen. Studierter Kommunikationswissenschafter. Ab 1991 Assistent des damaligen Staatssekretärs Kostelka, ab 1994 dessen Büroleiter als Klubobmann. 1997 Wechsel in den Verbund, ab 2007 dort Vorstandsmitglied. Seit Juni 2010 Chef der ÖBB sowie seit 2014 Vorsitzender der Gemeinschaft europäischer Bahnen