UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat bei der ersten Rede eines ausländischen Staatsgastes bei einer Nationalratssitzung vor der "zunehmend restriktiven Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik" in Europa gewarnt. "Solche Konzepte und Maßnahmen senden eine sehr negative Botschaft bezüglich Verpflichtungen der Staaten nach dem humanitären Völkerrecht und dem europäischen Recht aus", so Ban am Donnerstag.

Lob

Ban lobte die großen Anstrengungen der österreichischen Bevölkerung und der Regierung in der Flüchtlingskrise. "Jedoch bin ich über die Fremdenfeindlichkeit, die inner- und außerhalb Österreichs zunimmt, höchst beunruhigt", sagte er in seiner Rede vor den Abgeordneten, Regierungsmitgliedern und Bundespräsident Heinz Fischer. "Spaltung und Marginalisierung verletzen Menschen und untergraben die Sicherheit", betonte der UNO-Chef.

Er begrüßte die offene Diskussion über die Integration der Neuankömmlinge, erklärte Ban. "Diese Menschen sind tapfer, widerstandsfähig und vorausschauend", sagte Ban. Die Fremden brächten benötigte Fähigkeiten und Energien in ihre neue Gesellschaft ein. Wenn ihre Ankunft gut gesteuert werde, sei sie ein "Gewinn für alle".

Und noch mehr Lob

Lob gab es vom UNO-Generalsekretär für die Ankündigung der österreichischen Regierung zur Erhöhung der Entwicklungshilfe. Dies sei ein "ermutigendes" Zeichen. Er vertraue nun darauf, dass Österreich einen nationalen Plan zur Erfüllung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) der UNO vorlege.

Der Rede Bans lauschten auch die Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen, letzterer von der Zuschauergalerie.

In seiner Rede sprach der UNO-Generalsekretär auch über seine Liebe zu Österreich, wo er in den 1990er-Jahren südkoreanischer Botschafter war. "In meinem Herzen wird Wien immer einen besonderen Platz einnehmen", sagte Ban. Auch streute der Chefdiplomat seinem "Ratgeber und wunderbaren Freund" Heinz Fischer Rosen.

"Es ist mir ein große Ehre, als erster internationaler Gast eine Ansprache in diesem Parlament halten zu dürfen", sagte der Generalsekretär zu Beginn seiner Rede auf Deutsch. Das Rederecht für herausragende Persönlichkeiten der internationalen und europäischen Politik im Nationalratsplenum war erst zuletzt eingeführt worden. Als Redner vor einer regulären Parlamentssitzung war aber bereits Bans Vorgänger Boutros Boutros-Ghali 1993 eingeladen.

Nach den Ausführungen des UNO-Chefs nahmen die Klubchefs der Parlamentsparteien Stellung. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache betonte dabei, Österreich "können nicht Konflikte und Völkerwanderungswellen aus aller Welt - von Afrika oder aus dem Nahen Osten - bewältigen." Es müssten die Ursachen vor Ort in Angriff genommen und lokal Hilfe geleistet werden. NEOS-Chef Matthias Strolz verglich in einer launigen Wortmeldung die Weltlage mit der "Rocky Horror Picture Show" und fragte ins Plenum: "Können wir etwas tun, wenn sich die Menschen schlagen, hauen, morden?"

Ban Ki-moons Rede im Wortlaut

Hier die Rede von Ban Ki-moon im Wortlaut: Die ersten zwei Sätze sprach Ban auf Deutsch, der Rest der Rede liegt in englischer Übersetzung vor.

"Es ist mir eine große Ehre, eine Ansprache in diesem Parlament halten zu dürfen. Ich danke Ihnen für Österreichs wichtigen Beitrag zur Arbeit der Vereinten Nationen und dafür, dass Sie ein so großzügiges Gastland sind!

Im Sprachschatz der internationalen Gemeinschaft ist Wien gleichbedeutend mit globalem Handeln. Hier wurden die Wiener Menschenrechtserklärung, das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, ja sogar ein Pakt über Pakte - das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge - und viele weitere Übereinkünfte ausgehandelt. Hier veranstalten die Vereinten Nationen große Konferenzen zu Themen, die auf der globalen Tagesordnung ganz oben stehen. Wien ist Dreh- und Angelpunkt für die Tätigkeit der Vereinten Nationen in Bereichen wie der Kernenergie, der Drogen- und Verbrechensbekämpfung, der industriellen Entwicklung und weiteren Bereichen.

In dieser Woche ist Wien Gastgeberin für den Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen des gesamten Systems der Vereinten Nationen, der hier zu seiner halbjährlichen Tagung zusammenkommt. Vielen Dank für Ihre herzliche Gastfreundschaft! Erst gestern haben wir den 20. Jahrestag des Bestehens der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen begangen. Für mich bedeutete dieser Anlass eine Heimkehr - 17 Jahre nachdem ich den Vorsitz in der Vorbereitungskommission der Organisation geführt hatte.

Damals war ich Botschafter meines Landes in Wien. Wie sich herausstellte, sollte es mein erster und letzter Botschafterposten sein. Obwohl dieser Einsatz von eher kurzer Dauer war, trugen Wiener Leidenschaft und Energie dazu bei, den Kurs meines Lebens zu bestimmen, und gaben mir Anlass, in den Dienst der Vereinten Nationen, dieser großartigen Organisation, zu treten.

Ich ließ mich insbesondere von der pulsierenden Wiener Kunstszene inspirieren. Eine meiner Initiativen war die Organisation der ersten Österreichisch-Koreanischen Philharmonie, welche die Harmonie zwischen beiden Ländern verkörperte.

In meinem Herzen wird Wien stets einen besonderen Platz einnehmen, und meine Frau und ich sind noch immer eng mit unseren Freunden von damals verbunden. Ich machte die Bekanntschaft von Bundespräsident Fischer in seiner Zeit als Präsident des Nationalrates. Seitdem ist er mir ein unerschöpflicher Ratgeber und wunderbarer Freund. Nun, vor der Vollendung seiner zweiten Amtszeit, möchte ich ihm meine Anerkennung für die inspirierende Art und Weise aussprechen, mit der er Österreich als Staatsoberhaupt nach innen und außen vertreten und geführt hat.

Zum vergangenen Jahreswechsel verbrachten meine Frau und ich einen unserer seltenen Urlaube in dieser Stadt und läuteten das Jahr 2016 im Kreise unserer österreichischen Freunde und als Gäste beim einzigartigen Wiener Neujahrskonzert ein. Ich danke Ihnen für die herausragenden Beiträge, die Wien zu den Vereinten Nationen und Österreich zu unserer Welt geleistet hat.

Österreich ist ein unverzichtbares Mitglied der Weltgemeinschaft, angefangen von Ihrer führenden Rolle in wichtigen Organen der Vereinten Nationen bis zu Ihren friedenserhaltenden Kräften im Feld, von Ihrer Entwicklungszusammenarbeit bis zu Ihrem Eintreten für die Menschenrechte. Ich danke Ihnen für Österreichs wichtigen Beitrag zur Arbeit der Vereinten Nationen!

Wir bedürfen dringend weltbürgerschaftlichen Engagements, um die Vielzahl der Bedrohungen anzugehen, mit denen die Welt konfrontiert ist. Unsicherheit breitet sich aus. Die Ungleichheit nimmt zu. Frauen und Mädchen leiden unter schrecklicher Diskriminierung. Zu viele Menschen werden an zu vielen Orten aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität und anderer oberflächlicher Unterschiede ausgegrenzt. Gewalttätige Extremisten begehen Gräueltaten, die Gemeinwesen spalten und zerstören sollen.

Darauf muss umfassend, aber mit Bedacht reagiert werden. Der Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Verhütung des gewalttätigen Extremismus ist darauf gerichtet, gegen die Triebkräfte dieser Bedrohung anzugehen. Kein Land, keine Region kann die Probleme der Welt allein lösen. Die Herbeiführung gemeinsamer Lösungen ist Sache der Vereinten Nationen.

Im Laufe meiner gesamten Amtszeit als Generalsekretär habe ich betont, wie wichtig globale Problemlösungen sind und wie notwendig eine stärkere internationale Solidarität ist. Ich habe Wert darauf gelegt, den Menschen, die sich an den Frontlinien menschlichen Leids befinden, Gehör zu schenken. Vor allem rühren mich die Kinder, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind. Sie rufen in mir die Erinnerung an die Zeit während des Koreakriegs wach, als ich im Alter von sechs Jahren mit meiner Familie ins entlegene Gebirge fliehen musste.

Die Flüchtlingskinder von heute sind in den Wirren der größten Vertreibungskrise unserer Zeit gefangen. Überall, insbesondere in Europa, habe ich die führenden Verantwortlichen dazu aufgerufen, mit Mitgefühl und unter Achtung der Menschenrechte zu reagieren. Österreich hat im Laufe der Jahre seine Solidarität unter Beweis gestellt.

1956 öffnete dieses Land seine Grenzen für die Ungarn, die vor den sowjetischen Unterdrückungsmaßnahmen flohen. Während der Balkankriege der 1990er Jahre war Österreich Zufluchtsort für Tausende traumatisierter Flüchtlinge. Und als im vergangenen Herbst eine neue Welle von Ankömmlingen aus Syrien und anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens erschien, mobilisierten sich Österreicherinnen und Österreicher, um an den Bahnhöfen eine wärmende und helfende Hand zu reichen.

Dieser Ausdruck von Menschlichkeit beeindruckte mich so sehr, dass ich Bundeskanzler Faymann anrief, um ihm meine Anerkennung für die mitfühlende Art und Weise auszusprechen, mit der er die Situation lenkte. Wir haben eine moralische und rechtliche Pflicht, denen zu helfen, die vor Krieg, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung fliehen.

Unser Bekenntnis zur Menschenwürde wird mit Sinn erfüllt, wenn wir den Familien, die auf der Suche nach Frieden ihr Leben riskiert haben, ein warmherziges Willkommen bereiten und ihnen Unterkunft und Nahrung geben.

Ich erkenne die Großzügigkeit an, die die Menschen und Regierungen Europas bisher gegenüber Migranten und Flüchtlingen gezeigt haben, nicht zuletzt hier in Österreich. Aber es bereitet mir Sorge, dass europäische Länder nun eine zunehmend restriktive Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik verfolgen. Solche Politikkonzepte und Maßnahmen senden eine sehr negative Botschaft in Bezug auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach dem humanitären Völkerrecht und dem europäischen Recht aus.

Ich begrüße die offenen Diskussionen, die in Europa - auch in Österreich - zur Frage der Integration geführt werden. Jedoch bin ich über die Fremdenfeindlichkeit, die inner- und außerhalb Österreichs zunimmt, höchst beunruhigt. Alle führenden Verantwortlichen Europas sollten den Grundsätzen gerecht werden, die bisher seine Union geleitet haben.

Spaltung und Marginalisierung verletzen Menschen und untergraben die Sicherheit. Wenn der Ankunftsprozess gut gesteuert wird, ist die Aufnahme von Flüchtlingen ein Gewinn für alle. Diese Menschen sind tapfer, widerstandsfähig und vorausschauend. Sie bringen benötigte Fähigkeiten und Energien in ihre neue Gesellschaft ein.

Ich verstehe die Herausforderungen. Die Vereinten Nationen bemühen sich um die Herbeiführung umfassender Lösungen. Am 19. September wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Gipfeltreffen auf hoher Ebene abhalten, um die Frage der großen Bevölkerungsbewegungen anzugehen. Im kommenden Monat, am 23. und 24. Mai, werden wir den ersten Weltgipfel für humanitäre Hilfe in Istanbul einberufen, aus dem ein globales Bekenntnis zur Beendigung der Angriffe auf unschuldige Menschen und gemeinsame Werte hervorgehen wird.

Von dem Weltgipfel für humanitäre Hilfe soll eine Botschaft der Unterstützung für die 125 Millionen Menschen auf der Welt ausgehen, die unmittelbar von Krisen betroffen sind.

Ich vertraue darauf, dass Österreich sich aktiv an diesen wichtigen Ereignissen beteiligen und dass es seine stolze Tradition der Offenheit und Solidarität bekräftigen wird. Dazu gehört die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit. Ich war sehr ermutigt, als ich von Außenminister Kurz hörte, dass die österreichische Regierung eine drastische Erhöhung der Mittel für ihre wertvolle öffentliche Entwicklungszusammenarbeit plant.

Vor dem Hintergrund schweren Leids sehen wir Beweise dafür, dass Multilateralismus funktioniert. In der vergangenen Woche, am Internationalen Tag der Mutter Erde, haben 175 Länder am Amtssitz der Vereinten Nationen in New York das Pariser Klimaschutzübereinkommen unterzeichnet. Damit wurde der Rekord für die höchste Zahl von Ländern, die je an einem einzigen Tag einen Vertrag unterzeichnet haben, gebrochen. Dies baut auf der historischen Vision der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf, die mit 17 Zielen dafür sorgen will, dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können und niemand zurückgelassen wird.

Dieses Projekt ist universal. Selbst in den reichsten Ländern gibt es noch immer Bevölkerungsgruppen, die in tiefster Armut leben. Selbst die technologisch am weitesten fortgeschrittenen Länder können die Umwelt ausbeuten. Und selbst die stabilsten Demokratien kämpfen gegen Rassismus, religiöse Intoleranz und andere Formen der Unterdrückung.

Ich vertraue darauf, dass Österreich einen nationalen Plan zugunsten der Ziele für nachhaltige Entwicklung aufstellen und international tätig werden wird, um dazu beizutragen, anderen einen Weg in eine bessere Zukunft zu bahnen. Die hier in Wien ansässigen Organe der Vereinten Nationen werden Sie alle dabei unterstützen.

Um diese ehrgeizigen Pläne in echten Fortschritt umzusetzen, brauchen wir Ihre Hilfe. Sie sind die Vertreter und Stimmen des Volkes. Sie können seine Anliegen bei den Vereinten Nationen zur Sprache bringen. Und als Gesetzgeber können Sie Ihre Gesellschaft und den Einfluss Österreichs in der Welt gestalten.

Ich hoffe, Sie werden die Ziele für nachhaltige Entwicklung zur Grundlage der österreichischen Entwicklungspolitik machen und das Übereinkommen von Paris zügig ratifizieren. Als Parlamentarier können Sie eine entscheidende Rolle dabei spielen, gefährlichen fremdenfeindlichen Diskursen zu begegnen und Vertrauen zwischen Bevölkerungsgruppen zu schaffen.

Sie können auch einen Beitrag zur Stärkung der Frauen leisten, die eine der obersten Prioritäten in meinem Amt als Generalsekretär ist. Ich bin hocherfreut, am Töchtertag hier zu sein, dem Tag, an dem Sie Ihre Töchter zur Arbeit mitbringen. Ich habe eine Botschaft für die Mädchen in diesem Publikum und in aller Welt: Seid Weltbürgerin. Jede Einzelne von Euch kann einen Unterschied bewirken.

Als ich in Österreich lebte, habe ich sehr hart gearbeitet. Ich hatte jedoch immer ein Gefühl der Leichtigkeit und Behaglichkeit, was daran liegt, dass die Österreicher über so viel Frohsinn und guten Willen verfügen. Auch wenn ich niemals perfekt Deutsch gelernt habe, so gibt es doch ein Wort, das ich gemeistert habe und das dieses Gefühl treffend beschreibt: 'Gemütlichkeit'. Es ist schwierig zu übersetzen, aber Sie alle verstehen, dass es einem Gefühl der Akzeptanz, ja der Wärme in den sozialen Beziehungen Ausdruck verleiht.

Für mich liegt darin das Wesen Österreichs. Ich vertraue darauf, dass Sie auf Ihren Beziehungen zu den Vereinten Nationen und zu Ihren Nachbarn nah und fern aufbauen und unsere globale Chance auf eine bessere Zukunft ergreifen werden. Ich danke Ihnen für Ihre Führerschaft und Ihr Engagement. Danke schön."