Die "Kalte Progression" beschreibt jenen Effekt, die für eine schleichende jährliche Steuererhöhung (ohne gesetzliche Erhöhung der Tarifstufen) verantwortlich ist. Der Grund dafür: Die Löhne steigen, die für die Lohnsteuer maßgeblichen Einkommensgrenzen aber bleiben gleich. Damit rücken von Jahr zu Jahr immer mehr Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen vor - bzw. wird auch innerhalb der Tarifstufen mehr Steuer fällig. Ein Teil der Lohnsteigerungen wird somit vom Finanzamt abgeschöpft.

Wie groß dieser Effekt ist, darüber gibt es unterschiedliche Berechnungen. Rossmann verwies gegenüber der APA darauf, dass die Berechnungen etwa für das Jahr 2013 um bis zu gut 800 Mio. Euro divergierten - je nach Studie.

So weist die Untersuchung der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) für das Jahr 2013 eine Progression (gegenüber dem Jahr 2009) von insgesamt 2.243 Mio. Euro auf. Berechnungen des ehemaligen Leiters der Abteilung für Steuerschätzung und Steuerpolitik im Finanzministerium, Anton Rainer, nehmen hier mit 1.428 Mio. Euro hingegen einen wesentlich niedrigeren Wert an. Auch die Daten von IHS und Agenda Austria würden stark unterschiedliche Werte liefern, so Rossmann.

Florian Wakolbinger von der GAW sagte, die Unterschiede lassen sich durchaus durch die unterschiedlichen Berechnungsmethoden erklären. Sein Modell basiere auf einer "Mikroschätzung": Anhand eines repräsentativen Datensatzes wurde die kalte Progression ausgerechnet und dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.

Rainer hingegen setzt das tatsächliche Lohnsteueraufkommen mit jenem Steueraufkommen in Relation, das sich ergeben hätte, wäre es genauso stark wie die Lohnsumme gestiegen. Jener Betrag, um den das Steueraufkommen stärker gestiegen ist als die Lohnsumme, stellt die Progression dar - und hier rechnet Rainer noch die rein inflationsbedingte Änderung heraus, also jene, welche die "Kalte Progression" ausmacht.

Rossmann hält die Berechnungen von Rainer für plausibler, für ihn würden die Berechnungen von GAW und Agenda Austria die Steuerreform in einem "Ausmaß schlechtreden, das nicht zutrifft". Er verweist außerdem darauf, dass die Kalte Progression in Wirklichkeit schon fast die gesamte Progression ausmacht. "Weil die Lohnsteigerungen kaum über die Inflationssteigerung hinausgekommen sind."

Daher schließt auch er sich jenen Forderungen an, die nach einem Entgegenwirken der Kalten Progression rufen. Denn diese sei "nichts anderes als eine Steuererhöhung ohne Beschluss des Parlaments". Rossmann wünscht sich, dass man die Progressionsstufen an die Inflationsrate anpasst, "wie dies schon in vielen anderen Ländern der Fall ist".

In diesem Punkt sind sich auch Wakolbinger und Rainer einig: Beide plädieren für eine inflationsangepasste Anpassung der Tarifstufen.

Rainer verwies im Gespräch mit der APA außerdem darauf, dass man nicht nur den Lohnsteuertarif an die Inflation anpassen sollte, sondern auch die Steuersätze für sonstige Bezüge wie etwa die begünstigte Besteuerung des 13. und 14. Gehalts. Auch Freibeträge und Absetzbeträge sollten angepasst werden. Gleichzeitig plädierte dafür, keine jährliche, sondern eine periodische Anpassung (etwa alle 4 oder 5 Jahre) vorzunehmen. Dann würden auch Chancen bestehen, politisch zu steuern. Freilich müsste man korrekter Weise dann auch bei Mengensteuern (wie etwa der Mineralölsteuer) Anpassungen an die Inflation vornehmen, so Rainer.