Die betreffende Änderung der Geschäftsordnung im Wiener Landtag sollte eine Novellierung des mehrheitsfördernden Wiener Wahlrechts ermöglichen - und zwar gegen den ausdrücklichen Willen der SPÖ. Letztendlich sorgte der Wechsel von Grün-Mandatar Senol Akkilic zur SPÖ am Freitag für klare Verhältnisse. Seither verfügen Grüne und Opposition gemeinsam über keine Mehrheit mehr im Stadtparlament.

Die Grünen sind zwar nachhaltig erbost, wollen die Koalition aber nicht aufkündigen, wie Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zuletzt im APA-Gespräch betont hat. Allerdings beklagte sie, dass durch die Aktion der "Spirit von Rot-Grün" zu Grabe getragen worden sei. Das stimmt so nicht, konterte Niedermühlbichler heute. Dafür seien vielmehr die Grünen selbst verantwortlich.

"Wir haben über viereinhalb Jahre gute Arbeit geleistet und uns bei diversen Themen in Verhandlungen zu Ergebnissen durchgerungen", zeigte sich der rote Parteisekretär überzeugt. Auch beim Wahlrecht habe man Angebote gemacht: "Die Grünen haben die immer abgelehnt." Man habe sogar vorgeschlagen, dass es künftig in den Ausschüssen keine Mehrheiten geben solle, die nicht auch im Landtag bzw. Gemeinderat vorhanden seien. Derzeit hat die SPÖ in Fachausschüssen eine absolute Mehrheit - die es im Plenum seit 2010 nicht mehr gibt.

Die Grünen hätten mögliche Einigungen durch den Gang an die Öffentlichkeit wiederholt torpediert, kritisierte der SP-Politiker. Zudem hätten sie bereits bald davon gesprochen, einen "Plan B" zu überlegen: "Sie wollten den Roten zeigen, wo der Hammer hängt." So etwas könne sich die SPÖ aber "nicht gefallen lassen".

Mit der geplante Änderung der Geschäftsordnung sei "in Wahrheit" die Verletzung des Spirits von Rot-Grün geschehen. Man habe dem Regierungspartner zuvor auch gesagt, was es bedeute, diesen "Trick gegen jede Vernunft" durchzubringen, berichtete Niedermühlbichler: "Wenn das so passiert wäre, wäre es fast unmöglich gewesen, Rot-Grün fortzusetzen." Der rote Parteimanager sprach von einem "Vertrauensbruch" gegenüber der Sozialdemokratie.

Eher nichts wäre es auch mit "Rot-Grün II" nach der Wahl im Herbst geworden: "Hätten die Grünen ihr Vabanque-Spiel mit der Änderung der Geschäftsordnung durchgebracht und die SPÖ damit massivst gedemütigt, wäre das fast unvorstellbar gewesen. Das muss man einfach so sagen." Erst durch den Wechsel von Akkilic (seit dem keine Beschlüsse gegen die SPÖ mehr möglich sind, Anm.) "wurde die Option offen gehalten, wieder mit den Grünen verhandeln zu können". Zusatz: "Das haben die Grünen offenbar nicht verstanden."

Dass Senol Akkilic die Seiten gewechselt hat, freue ihn auch aus inhaltlichen Gründen, versicherte Niedermühlbichler. Denn dieser sei ein ausgewiesener Integrationsexperte, der auch in den NGOs geschätzt werde. "Wir haben zusätzliche Kompetenz gewonnen", lobte der Landesparteisekretär den Wechsel. Mit den Grünen sei die Gesprächsbasis übrigens weiterhin aufrecht, beteuerte er. Auch mit dem Grünen Klubchef David Ellensohn habe er bereits wieder gesprochen: "Ich glaube, es ist wichtig, das Persönliche und Berufliche zu trennen", befand Niedermühlbichler.

Trotz Vertrauensverlust und Krisenatmosphäre wird die Koalition mit der Wiener SPÖ bis zur Wahl im Herbst fortgesetzt, entschied die grüne Parteispitze am Wochenende. Das verstehen nicht alle: Joachim Kovacs etwa, Klubchef der Ottakringer Grünen, plädiert für ein sofortiges Ende der Regierungszusammenarbeit. Aber auch bei den Roten gibt es Stimmen, die vom Personalcoup nicht allzu angetan sind.

Eskaliert war die zuvor schon angespannte Stimmung am Freitag, nachdem die SPÖ ausgerechnet einen Abgeordneten der Grünen mit Aussicht auf ein fixes Mandat abgeworben und so eine Änderung des Wahlrechts endgültig verhindert hatte. Der kleine Koalitionspartner holte daraufhin zu einer Verbalattacke in Richtung Sozialdemokraten aus, sprach von Vertrauensbruch und unentschuldbaren faulen Tricks, kündigte aber zugleich an, in der Koalition zu bleiben, um Projekte in Arbeit noch zu beenden.

Eine Entscheidung, die nicht alle Grüne toll finden - beispielsweise Kovacs. "Stand heute bin ich für das AUS der Koalition", schreibt er in seinem Blog (). Denn: "Was spricht denn noch für eine Fortsetzung einer Koalition, wenn sich der Partner mit dem Arsch auf dein Gesicht setzt?" Er fordert die Parteispitze auf, in den Gremien "offen über ein Ende mit Schrecken, als über einen Schrecken ohne Ende" zu diskutieren. "Soll die SPÖ und (der übergelaufene Grün-Mandatar, Anm.) Senol Akkilic das halbe Jahr allein regieren. Die Grüne Handschrift ist und bleibt auch so in dieser Stadt sichtbar", meint Kovacs.

"Skeptisch, wie es weitergehen kann", ist auch die grüne Landtagsabgeordnete Birgit Hebein, wie sie der APA am Montag sagte: "Für mich persönlich ist die rot-grüne Partnerschaft beendet." Mit Blick auf die Zeit nach der Wahl hofft sie aber, "dass sich die guten Kräfte innerhalb der SPÖ durchsetzen werden". Den größten Schaden an der Aktion habe aber sowieso nicht Rot-Grün, sondern die Politik selbst genommen, "weil die Menschen dieses machtpolitische Verhalten satthaben".

Doch nicht nur bei den Grünen gibt es parteiinterne Skeptiker. Auch in der SPÖ sind einige Genossen zumindest verwundert über die Vorgangsweise der eigenen Partei. Die gewohnt kritische "Sektion 8" - sie setzte etwa gegen den Willen der roten Granden inklusive Bürgermeister Michael Häupl das Aus für das Kleine Glücksspiel durch - vermerkte etwa via Facebook: "Welcher Ruck würde eigentlich durch die Stadt gehen, wenn sich die Wiener SPÖ-Führung mit demselben Verve, den sie jetzt beim Wahlrecht an den Tag legt, der Entwicklung und Umsetzung neuer Inhalte verschreibt?"

Bedauern ob des Koalitionskrachs dürfte auch der SPÖ-Abgeordnete Jürgen Czernohorszky empfunden haben und dabei wohl auch mit dem Vorgehen seiner eigenen Fraktion nicht ganz glücklich gewesen sein. "Heute ist ein Tag, an dem sich viele auf die Zunge beißen, ich auch", twitterte er noch am Freitag. Nachsatz: "Mit einer Ausnahme: Ich wünsche mir, dass Rot-Grün Zukunft hat."