Die Verringerung von 60 auf 48 Stunden Wochen-Arbeitszeit in den Spitälern bedeute ein Minus von 20 Prozent. Das bedeute mehr Patienten für die Arztpraxen. Der niedergelassene Bereich aber werde seit Jahren ausgedünnt. "Da entsteht ein Spalt, und in den rutschen die Patienten hinein", prophezeit Steinhart, der Kurienobmann für die niedergelassenen Ärzte ist. Nach Berechnungen der Kammer brauche es zumindest 1.300 zusätzliche Praxen mit Kassenvertrag. Zudem sei die Ärzteschaft in den Praxen "überaltert", mehr als die Hälfte der Mediziner seien über 55 Jahre alt und würden in den nächsten Jahren in Pension gehen.

Der Nachwuchs aber suche immer öfter das Weite, weil er andernorts bessere Rahmenbedingungen vorfände, so Steinhart weiter. Die Kammer drängt deswegen unter anderem auf die Finanzierung eines Lehrpraxen-Modells. Auch die Bürokratie in den Praxen habe mittlerweile "unerträgliche" Ausmaße angenommen, streifte Steinhart kurz auch die harte Kritik der Kammer an Systemen wie der elektronischen Gesundheitsakte ELGA.

In Sachen Finanzierung wiederum sei der Kostendämpfungspfad ein strategischer Fehler und widersinnig, denn gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten brauche es mehr Geld, da die Menschen eher krank würden. Mit Missfallen hat die Ärztekammer auch den Rechnungshofbericht zum Vermögensmanagement der Sozialversicherungen studiert. "Notgroschen" seien kein Problem, doch Krankenkassen seien "nicht als Investitionseinrichtungen gedacht", die insgesamt 3,8 Milliarden Euro auf der hohen Kante hätten. Für viele dringenden Verbesserungen im Sinne der Patienten "wäre Geld da", glaubt Steinhart, zumal die Deckelung vieler Leistungen ebenfalls eine Erschwernis für Ärzte und Patienten seien.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger appelliert indes an die Ärzte, ihre "verständlichen Eigeninteressen hinter jene der Patienten und Beitragszahler" zu stellen, meinte Vorstandsvorsitzender Peter McDonald am Donnerstag in Reaktion auf die Ärztekammer-Kritik am Gesundheitssystem. Die Ärzte sollten daher nicht "mit Aufgeregtheit verunsichern und Ängste schüren".

Die Sozialversicherungen würden derzeit "mit Hochdruck" an der Realisierung von elf Pilotprojekten österreichweit arbeiten, verwies McDonald auf die Pläne für die Primärversorgung. Somit würden ab dem kommenden Jahr außerhalb der Spitäler neue Formen von "wohnortnaher medizinischer Versorgung" zur Verfügung stehen. Damit, so hofft McDonald, würden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, "dass sich wieder mehr Jungmediziner für den Beruf des praktischen Arztes entscheiden". Ohnehin hätte Österreich "die höchste Ärztedichte weltweit".

Den Vorwurf, dass die Sozialversicherungen Geld in Milliardenhöhe horten, wies McDonald zurück: "Durch die Konsolidierungsbemühungen der vergangenen Jahre ist es uns gelungen, die Kassen großteils zu entschulden und die Finanzen weitgehend so zu stabilisieren." Und die Hälfte der Kassen hätten eine gesetzlich vorgegebene Leistungssicherungsreserve aufbauen können. Diese sollten Sicherheit bieten, "auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die hohe Verfügbarkeit von neuen medizinischen Leistungen und damit den medizinischen Fortschritt rasch sicherzustellen".