Während es beim ersten Termin um eine laut Anklage von Westenthaler zweckwidrig verwendete Nachwuchs-Förderung an die Bundesliga in Höhe von einer Million Euro gegangen war, wurde Stickler diesmal zu den 300.000 Euro befragt, welche die Lotterien im Sommer 2006 der BZÖ-eigenen Agentur Orange überwiesen hatten. Für die Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine "Schmiergeldzahlung", die Lotterien hätten sich das Wohlwollen des kleineren Regierungspartners in der damaligen ÖVP-BZÖ-Koalition sichern wollen. Das BZÖ bzw. die orange Werbe-Agentur hätten keine adäquate Gegenleistung für das geflossene Geld erbracht.

Eine im Auftrag von Westenthaler erstellte Studie zum Thema Online-Glücksspiel und Responsible Gaming sei inhaltlich wertlos gewesen und habe ausschließlich als "Scheinrechnung" gedient, um die 300.000 Euro-Zahlung zu legitimieren, so der Tenor der Anklage, die in diesem Punkt Westenthaler Untreue als Beteiligter vorwirft.

"Doktor Leo Wallner war der Auslöser dieses Vorgangs", stellte Stickler dazu nun unmissverständlich fest. Dieser - Vorstandsvorsitzender der Lotterien und langjähriger Generaldirektor der Casinos Austria AG - habe ihn, Stickler, Ende September 2006 angerufen und wissen lassen, dass die Rechnung über 300.000 Euro bereits"urgiert" werde. Wallner habe ihn ersucht, "ich möge die Überweisung veranlassen". Bevor er das tat, habe er noch nachgefragt "Leo, ist das in Ordnung?" Dieser habe ihm beschieden "Ja, das ist in Ordnung und kann angewiesen werden", gab Stickler zu Protokoll.

Laut Rechnung wurden die 300.000 Euro der BZÖ-Agentur für im Zeitraum April bis Juli 2006 erbrachte "Beratungsleistungen" zum Themenbereich Responsible Gaming bezahlt. Die neunseitige Studie, die ein enger Westenthaler-Mitarbeiter übers Wochenende mittels Internet-Recherchen verfasst hatte, war auf der Rechnung nicht explizit erwähnt. Er habe diese Studie nicht gekannt, betonte Stickler. Er habe auch nichts von externen Beratungsleistungen gewusst. Die Agentur Orange sei ihm damals unbekannt gewesen, bemerkte Stickler: "Ich wusste nicht, dass es da einen Zusammenhang mit dem BZÖ gibt."

Ihm sei daher wichtig gewesen, dass der gesamte Lotterien-Vorstand und damit auch Leo Wallner die Rechnung abzeichnete. Auf die Frage, ob er die Forderung nicht überprüft habe, erwiderte Stickler: "Ich kann große Auftragssummen, Bestellungen nicht kontrollieren. Wenn die IT Software um 100.000 Euro bestellt, kann ich das nicht kontrollieren. Wenn Beratung in Anspruch genommen wird, muss mich auf die Kollegen verlassen, dass das in Ordnung ist."

Wenn Leo Wallner für sich Beratungsleistungen geordert hätte, hätte ihn das nicht unbedingt überrascht, gab Stickler zu verstehen. Wallner sei "nicht unbedingt medienaffin" gewesen und habe "keine E-Mails geschrieben". Außerdem sei Wallner in einem Büro am Lueger-Ring gesessen, während er selbst im Haus der Lotterien am Rennweg gearbeitet hätte: "Was am Lueger-Ring passiert ist, wusste ich manchmal nicht. Er war relativ weit weg." Jedenfalls sei Wallner für politische Kontakte, was das Glücksspielwesen betrifft, zuständig gewesen. So habe sich dieser mit dem BZÖ-Gründer Jörg Haider gut verstanden: "Sie hatten ein gutes Verhältnis. Sie haben sogar Tennis gespielt miteinander."

Auf die konkrete Frage von Richter Wolfgang Etl, ob mit heutigem Wissensstand für die 300.000 Euro irgendeine Leistung erbracht worden sei, räumte Stickler schließlich ein: "So weit ich das beurteilen kann, gibt es keinen schriftlichen Nachweis." "Hätten Sie für die Studie zum Responsible Gaming 300.000 Euro bezahlt?", hakte Etl nach. "Aber diese Studie wird in der Rechnung ja nicht einmal erwähnt", betonte Stickler noch einmal.

Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Anklage-Faktum Leo Wallner als unmittelbaren Täter, der die Lotterien um 300.000 Euro geschädigt hat, indem er das Geld auf den Weg zum BZÖ brachte. Er wurde auch angeklagt, ist aufgrund seines angeschlagenen gesundheitlichen Zustands derzeit aber nicht verhandlungsfähig. Ein entsprechendes ärztliches Gutachten soll der Justiz inzwischen vorliegen. Wallner ist 79 Jahre alt.

Dass sich die Lotterien dem Strafverfahren nicht als Privatbeteiligte angeschlossen haben, um auf diesem Weg die 300.000 Euro zurückzufordern (was mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden wäre, Anm.), nannte Oberstaatsanwältin Barbara Schreiber "höchst erstaunlich". Sie nahm mit Verwunderung zur Kenntnis, "dass man den Prozessausgang abwartet und dann um teures Geld prozessiert." Stickler verteidigte dieses Vorgehen: "Wir haben das mit unseren Rechtsberatern besprochen."

Hintergrund der inkriminierten 300.000-Euro-Zahlung der Österreichischen Lotterien ans BZÖ soll laut Anklage der Umstand gewesen sein, dass im Juli 2006 eine Novelle zum Glücksspielgesetz in parlamentarischer Behandlung war, die eine Aufweichung des Glücksspiel-Monopols bedeutet hätte. Wäre das Gesetz geändert worden, wäre eine zusätzliche Konzession für elektronische Lotterien zu haben gewesen.

"Das hätte das Glücksspiel-Monopol in Österreich in die Luft gesprengt", deponierte dazu nun Lotterien-Vorstand Friedrich Stickler im Grauen Haus. Er räumte an, dies wäre für die Lotterien mehr als eine mittlere Katastrophe gewesen: "Das war eine Existenz-Frage für uns. Das hätte dramatisch negative Auswirkungen gehabt." Man habe daher alles versucht, die geplante Gesetzes-Änderung zu verhindern. Als der Richter wissen wollte, ob dafür grundsätzlich auch Parteispenden infrage gekommen wären, zeigte sich Stickler entrüstet: "Für mich ist das unvorstellbar, dass man für ein Gesetz etwas bezahlt. Das übersteigt meine Vorstellung."

Als er von der geplanten Novelle Kenntnis erlangte, habe er unverzüglich den damaligen BZÖ-Obmann Peter Westenthaler angerufen und "Peter, was ist da los?" gefragt. Dieser habe ihm, Stickler, "Die Kugel ist aus dem Lauf" beschieden und dass man "da nichts mehr machen" könne. Die Gesetzes-Initiative sei "aus dem BZÖ herausgekommen" und mit der ÖVP als größerem Regierungspartner "abgesprochen" gewesen , so Stickler.

Dass die Regierungsvorlage dann doch scheiterte - der Abänderungsantrag wurde letzten Endes im Parlament gar nicht behandelt -, führte Stickler darauf zurück, dass das Gesetzesvorhaben "an den Abgeordneten vorbei" und "in kleinstem Kreis" vorbereitet worden sei. Das habe für großen Unmut unter den Abgeordneten gesorgt. "Ich glaube, dass der Widerstand aus den ÖVP-Abgeordneten zu massiv geworden ist", bemerkte Stickler.

Der Lotterien-Vorstand gab durchaus zu, diesen Widerstand insofern geschürt zu haben, als er einzelne Mandatare telefonisch kontaktiert habe. Namentlich erwähnte Stickler in diesem Zusammenhang den damaligen Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, Karlheinz Kopf, sowie den späteren Bundeskanzler Wilhelm Molterer, damals Klubobmann der ÖVP im Parlament. Letzterer soll die beabsichtigte Gesetzes-Änderung, welche die Monopolstellung der Lotterien zu Fall gebracht hätte, laut Stickler diesem gegenüber mit den Worten "Was hast du eigentlich? Das ist doch nichts Dramatisches. Lass die halt ein bisserl im Internet spielen" verteidigt haben.

Auf das Scheitern des Gesetzesvorhabens hin habe sich Molterer ihm gegenüber "ziemlich verärgert" gezeigt, sagte Stickler weiter aus: "Er hat gemeint, das wäre nicht notwendig gewesen, so massiv zu agieren, so viele Leute anzurufen."

Er könne Sticklers Aussagen "zu fast 100 Prozent bestätigen", bemerkte Westenthaler nach dem Zeugenauftritt des Lotterien-Vorstands. Als das Vorhaben, das Glücksspielgesetz zu ändern, publik - wie Westenthaler vermutete über Leo Wallners Sohn, der damals im Umfeld der ÖVP beruflich tätig gewesen sei - und den Lotterien bekannt wurde, sei "die ganze Nacht bei der ÖVP interveniert worden". Daraufhin habe man die Gesetzesinitiative "begraben". Das BZÖ habe damit nichts zu tun gehabt, weshalb eine Zahlung der Lotterien in Form einer "Scheinrechnung" keinen Sinn mache. "Das Motiv in der Anklage hält nicht einmal annähernd", zeigte sich Westenthaler überzeugt.