Wogegen stemmen sich die französischen Gewerkschafter überhaupt? Die wichtigsten Punkte der neuen Arbeitsgesetze in Frankreich:

+Die Heilige Kuh der 35-Stunden-Woche soll nicht geschlachtet werden, aber es soll mehr Flexibilität geben- Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen sollen auf Betriebsebene ausgehandelt werden können.

+46 Wochenstunden, maximal, und zwölf Stunden Arbeitszeit am Tag sollen erlaubt werden.

+Überstundenzuschläge für die ersten acht Stunden sollen im Zuge von Betriebsvereinbarungen auf zehn Prozent (bisher 25 Prozent) gekürzt werden können.

+Der Kündigungsschutz wird gelockert

Gewerkschaft reagiert mit Streik

Die französische Gewerkschaft CGT schlägt mit der Faust auf den Tisch. Der schnauzbärtige Arbeiterführer Philippe Martinez hat dem Land eine Kraftprobe um die umstrittene Arbeitsmarktreform aufgezwungen und droht mit einer "Generalisierung der Streiks". In einem ohnehin angespannten Klima schürt die Zuspitzung zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft Sorgen vor einer Lähmung des Landes: Am Tag des Eröffnungsspiels der Fußball-EM soll die Pariser Metro stillstehen.

So musste sich Innenminister Bernard Cazeneuve  bei der Vorstellung seines Sicherheitskonzeptes für die EM schon fragen lassen, ob neben Hooligans und Terrorismus nicht auch die soziale Lage im Land eine Bedrohung für das Sportfest sei. Der Politiker wies das entschieden zurück. In einer Hinsicht hat Martinez jedenfalls bereits Erfolg gehabt: Die zwischenzeitlich etwas verloren wirkenden Proteste gegen die Neufassung des Arbeitsrechts sind wieder in aller Munde.

Seit Tagen bestimmen Warteschlangen vor Zapfsäulen die Fernsehnachrichten, bis zu ein Drittel aller Tankstellen kam zeitweise wegen Versorgungsengpässen in Schwierigkeiten oder saß auf dem Trockenen. Tipps für spritsparendes Fahren und Karten der betroffenen Regionen machen die Runde. Wirtschaftsvertreter fürchten bereits um den fragilen Aufschwung. "Das sind unverantwortliche Methoden, die auf eine Schwächung des Landes und letztlich auf Arbeitslosigkeit hinauslaufen", wettert der Chef des Unternehmerverbands Medef, Pierre Gattaz.

"Wir schädigen die Wirtschaft schwer", sagt die CGT-Verantwortliche für die Energiebranche ganz offen mit Blick auf die durch Streiks gedrosselte Stromproduktion in den Atomkraftwerken, die mehr Importe nötig macht. Das Argument der Gewerkschaften: Nur so könnten sie sich Gehör verschaffen - denn die Regierung habe auf stur geschaltet.

"Man kann nicht ein Land blockieren", hält Premierminister Manuel Valls dagegen - und verweist darauf, dass die Regierung ihre Vorschläge nach Protest ja bereits deutlich zurückgeschraubt hatte. Er deutet allerdings auch an, dass "Verbesserungen" möglich seien - an der "Philosophie des Textes" will er aber festhalten.

Die Reform der Regierung soll das starre und komplexe Arbeitsrecht aufweichen. Ein zentraler Punkt: Mehr Regelungen, vor allem im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitszeit, sollen direkt auf Unternehmensebene ausgehandelt werden können. Die Regierung spricht von einer Stärkung des sozialen Dialogs - der allerdings in Frankreich keine echte Tradition hat, wo zwischen Gewerkschaftern und Managern oft Misstrauen herrscht.

Letztlich stehen sich zwei kaum vereinbare Positionen gegenüber: Die Regierung will die Regeln ein stückweit lockern und Unternehmen mehr Flexibilität geben. Sie hofft, dass diese dann eher bereit sind, neue Mitarbeiter einzustellen und diesen unbefristete Verträge zu geben - vor allem junge Leute müssen sich oft von einer Befristung zur nächsten hangeln. Die stramm linke CGT und ihre Mitstreiter will dagegen bestehende Regeln bewahren und fürchtet, dass weichere Vorschriften genutzt werden, um das Sozialniveau zu drücken.

Demonstrationskultur

Nun gehören gewisse revolutionäre Rituale in Frankreich zum politischen Protest wie das Croissant zum Frühstück. Und trotz der Versorgungsengpässe, Ausfällen bei Zügen und Flugverbindungen: Von einem Stillstand oder Generalstreik kann bisher noch nicht die Rede sein. Zumal seit die Regierung einige Blockaden mit Gewalt geräumt hat. "Die Situation hat sich im Westen und im Norden verbessert", versichert Verkehrs-Staatssekretär Alain Vidalies am Donnerstag.

Vor der Eskalation war die Teilnehmerzahl bei den Demos weit von den Millionenprotesten entfernt, die 2006 schwächere Kündigungsschutz-Regeln für Berufseinsteiger zu Fall brachten. Doch die Kritiker setzen nun ganz klar auf eine Strategie, bei der zentrale Wirtschaftsbereiche mit großen Auswirkungen für das Land gestört werden.

Dennoch kam bei den Protesten am Donnerstag zu gewaltsamen Zwischenfällen. Dutzende vermummte Demonstranten lieferten sich am Rande einer Kundgebung in Paris heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Randalierer schleuderten Flaschen auf die Polizisten, die mit Tränengas antworteten. Im südfranzösischen Fos-sur-Mer nahe Marseille wurde ein Mann schwer verletzt, als ein Autofahrer eine von Gewerkschaften errichtete Sperre durchbrach. Der verletzte 51-Jährige musste mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden. Der Fahrer ergriff zunächst die Flucht, stellte sich aber später der Polizei.

Angesichts der Massenproteste stellte die Regierung ein Entgegenkommen in Aussicht. Premier Valls deutete Kompromissbereitschaft an: "Es kann immer Veränderungen und Verbesserungen geben", sagte er den Sendern RMC und BFMTV. Es sei aber "ausgeschlossen, den Rahmen zu ändern". Konkrete Angaben zu möglichen Änderungen an der Reform wollte der Sozialist nicht machen. Er widersprach auch einem Vorstoß von Finanzminister Michel Sapin, vom besonders umstrittenen Vorhaben abzurücken, Betriebsvereinbarungen bei Arbeitszeiten Vorrang vor Branchenvereinbarungen zu geben. Der Premier bezeichnete es in der Nationalversammlung zugleich als "inakzeptabel", ein Land zu "blockieren" und den "wirtschaftlichen Interessen Frankreichs" zu schaden. Laut einer im Sender RTL veröffentlichten Umfrage halten allerdings sechs von zehn Franzosen die Protestbewegung für "gerechtfertigt".

Fast 300.000 Menschen gingen laut den Organisatoren insgesamt landesweit auf die Straßen, die Polizei sprach am Abend von 153.000 Teilnehmern. In Paris nahmen nach Polizeiangaben mindestens 18.000 Menschen an den Protesten teil, die Veranstalter sprachen von 100.000 Teilnehmern. Die Polizei nahm 36 Demonstranten fest. 15 Beamte wurden laut der Polizei verletzt. Landesweit gab es demnach 77 Festnahmen.

Für die kommenden Wochen sind aber bereits weitere Streiks bei Bahn und Fluglotsen angekündigt. Eine Gewerkschaft hat für den 10. Juni zum Streik bei der Pariser Metro aufgerufen - just an diesem Tag will Gastgeber Frankreich die Europameisterschaft im Stade de France eröffnen. Und vier Tage später ist eine Großkundgebung in Paris geplant. Es könnte ein heißer Sommer werden.