"Solange es hier keine funktionierende Regierung gibt, kann niemand diesem Problem wirksam begegnen."Libyen versinkt seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 in einem Bürgerkriegschaos. Trotz eines von der UNO vermittelten Friedensabkommens konnte die Regierung der nationalen Einheit ihre Arbeit bisher nicht aufnehmen. Ihr fehlt noch immer die Zustimmung des international anerkannten Parlaments im ostlibyschen Tobruk. Die Sicherheitskräfte des Landes sind seit langem nicht mehr in der Lage, die Küsten und Grenzen zu bewachen.

Nach Abriegelung der Balkanroute und Inkrafttreten des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei am 20. März wird erwartet, dass Flüchtlinge und Migranten versuchen, auf anderen Wegen nach Europa zu kommen. Der wichtigste Anlaufpunkt bleibt derzeit das nordafrikanische Libyen.

Kobler erklärte, allein im ersten Quartal dieses Jahres seien 24.000 Menschen aus Libyen nach Europa aufgebrochen. Dabei ist die Überfahrt in der kälteren Jahreszeit schwieriger. "Wenn man das hochrechnet, dann kommen dieses Jahr sicher mindestens 100.000 Menschen über das Mittelmeer", sagte der UNO-Diplomat.

"Die Zahl von möglichen Migranten in Libyen ist alarmierend", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk Mitte April. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini befürchtet nach einem Bericht von "politico.eu", dass sich mehr als 450.000 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland auf den gefährlichen Seeweg über das Mittelmeer nach Europa machen könnten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass 2016 im dritten Jahr in Folge mehr als 100.000 aus Libyen nach Italien kommen und dass es möglicherweise viele, viele mehr werden könnten.

Die EU-Marinemission "Sophia" zum Kampf gegen Schlepperkriminalität vor Libyens Küste sieht Kobler nicht als Lösung. "Operation Sophia ist gerade eher ein Faktor, der Migranten anzieht", sagt er. "Die Schlepper schicken die Boote aufs offene Meer hinaus, bisweilen sogar ohne einen Tropfen Diesel im Tank. Dann rufen sie die Notfallnummern an, weil sei wissen, dass die EU-Schiffe die Menschen retten."