Die EU und die Türkei haben einen Aktionsplan beschlossen, um den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa einzudämmen. Das berichtete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag nach Abschluss des EU-Türkei-Sondergipfels in Brüssel. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, es werde keine Lösung der Flüchtlingskrise geben ohne eine Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei.

"Das ist ein historischer Tag und ein historisches Treffen", sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nach dem Sondergipfel. Juncker sagte, zur Versorgung von Flüchtlingen im Land sollten der Türkei drei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. In dem Aktionsplan sichert die Türkei unter anderem zu, seine Küsten besser zu schützen und gegen Schlepper vorzugehen.

Faymann: Vorschlag zu Aufteilung

Juncker wird nach Worten von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) einen Vorschlag zur EU-weiten Aufteilung der beschlossenen drei Milliarden Euro schweren Unterstützung für die Türkei machen. Faymann sagte nach dem EU-Türkei-Gipfel Sonntag in Brüssel, Ministerpräsident Ahmet Davutoglu habe klar gemacht, dass die Gelder ausschließlich syrischen Flüchtlingen zugutekämen.

Das Geld werde etappenweise investiert und Schritt für Schritt abgerufen, sagte Faymann. "Ich finde es erfreulich, dass wir alle den drei Milliarden (Euro) zugestimmt haben", sagte der Bundeskanzler. Niemand sollte aber glauben, dass die Partnerschaft mit der Türkei einfach werde.

Weiter Treffen angekündigt

Faymann kündigte ein weiteres Treffen jener Länder an, die von der Flüchtlingskrise besonders betroffen seien. So soll wahrscheinlich vor dem nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember gemeinsam mit der Türkei und mit Griechenland gemeinsam überprüft werden, wie die heutigen Gipfelbeschlüsse funktionieren. "Wir warten nicht bis Jänner oder Februar, sondern wir werden in 14 Tagen das erste Mal überprüfen", sagte Faymann.

Der Bundeskanzler kündigte eine wichtige Rolle Österreichs in diesem Zusammenhang an. "Hier werden wir bei der Koordination eine Rolle spielen." Es sei durchaus möglich, dass das Treffen in der österreichischen Ständigen Vertretung stattfindet. Man werde Ort und Zeitpunkt noch festlegen, "wir werden jedenfalls mitorganisieren".

Mehr Solidarität gefordert

Faymann forderte erneut Solidarität der EU-Staaten bei der Verteilung von Flüchtlingen. Er wolle Unterstützung für EU-Länder, die Sorgen hätten, wie die Flüchtlingsbetreuung zu organisieren wäre. In der Vorbesprechung hätten sich die Nettozahler als besonders von der Flüchtlingskrise betroffenen Länder getroffen. "Wir werden auch die finanziellen Möglichkeiten einsetzen, diese Solidarität einzufordern."

Wer Schengen aufrechterhalten wolle, der müsse sich auch gemeinsam für die Verteilung von Flüchtlingen und für den Schutz der Außengrenze engagieren. Dies sei eine gemeinsame Aufgabe. Im Laufe der Diskussion gebe es immer mehr Wortmeldungen, dass alle sich an der Lösung beteiligen müssten. "Ich sehe mehr Länder als in der Vergangenheit mitdiskutieren." Eine Probeabstimmung sei am heutigen Sonntag aber nicht durchgeführt worden. "Es ist unverzichtbar. Da werden wir sehr konsequent bleiben." Auch die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo habe in der Debatte beim Gipfel mehrmals den Ausdruck "konstruktiv" verwendet.

Tusk: Erweiterung wird nicht neu geschrieben

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat nach dem Gipfel mit der Türkei betont, dass die Erweiterungspolitik "nicht neu geschrieben" werde. Die Migration sei Hauptgrund der Verhandlungen mit der Türkei gewesen. Niemand könne der EU abnehmen, die eigenen Grenzen zu bewachen, aber "wir wollen einen großen Schritt zu neuen Spielregeln über die Eindämmung des Migrationsflusses" angehen.

Die EU werde dabei die Türkei mit drei Milliarden Euro unterstützen. Es sei auch vereinbart worden, das Beitrittsverfahren wieder in Schwung zu bringen. Tusk kündigte an, dass das Kapitel 17 zur Wirtschafts- und Währungspolitik eröffnet werden solle, außerdem soll die Öffnung weiterer Kapitel stattfinden. Aber "die EU-Erweiterungspolitik schreiben wir jetzt nicht neu". 2016 werde ein Schlüsseljahr für die Umsetzung des Abkommens zwischen der EU und der Türkei werden.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonte, die konstruktive Sitzung werde nicht dazu führen, "noch bestehende Differenzen unter den Tisch fallen zu lassen". Es werde zwei Mal im Jahr einen EU-Türkei-Gipfel geben. Und "es wird immer Dinge geben, die besprochen werden müssen, damit wir unsere Positionen annähern".

Hollande: Beitrittsprozess nicht schneller

Frankreichs Präsident Francois Hollande hat sich gegen eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses mit der Türkei gewandt. Auf die Frage, wann die Türkei der EU beitreten könnte, sagte Hollande Sonntagabend nach dem Gipfel der Europäischen Union mit Ankara, es gebe "keinen Grund das zu beschleunigen noch zu verlangsamen". Die Bedingungen hätten sich nicht geändert. Hollande musste wegen des beginnnenden Klima-Gipfels in Paris vorzeitig den EU-Türkei-Gipfel in Brüssel verlassen.

Wendepunkt in der Beziehung

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sieht einen "Wendepunkt" in den Beziehungen mit der EU. Nach dem EU-Türkei-Gipfel am Sonntag in Brüssel betonte er den "Willen der türkischen Gesellschaft" zur Mitgliedschaft in der EU, "aber ob die EU die Türkei akzeptieren möchte, muss sich durch gemeinsame Bemühungen zeigen". Die EU-Spitzen gaben sich in dieser Frage doch zurückhaltender. Die Bedingungen für den Beitrittsprozess hätten sich nicht geändert, hieß es. EU-Ratspräsident Donald Tusk unterstrich auch die Menschenrechtsfrage.

Davutoglu sprach nach dem Sondergipfel von einem "historischem Tag und einem historischen Treffen". Er sei glücklich über das Ergebnis der ergiebige Diskussion, sagte er im Anschluss bei einer Pressekonferenz. Der Ministerpräsident meinte, wenn es gelinge, die Visa-Befreiung bis nächstes Jahr zu erreichen, würden auch die Erwartungen in der türkischen Gesellschaft größer werden. Der Schwung werde hoffentlich aufrecht bleiben. "Wir tun alles, um so viele Kapitel wie möglich zu eröffnen. Wenn es in den nächsten Monaten gelingt, die Zypern-Frage zu lösen, wo es gute Fortschritte gibt, wird der türkische Beitritt zur EU nicht ein Traum in der Zukunft bleiben, sondern Realität werden".

Kapitel wird eröffnet

"Kapitel 17 wird eröffnet werden und andere werden bald folgen", sagte Davutoglu. Der gemeinsame Aktionsplan in Bezug auf die Flüchtlingskrise zeige, dass es sich dabei um eine "gemeinsame Krise handelt", die Flüchtlingsfrage sei weder eine türkische noch eine Frage der EU, betonte der Ministerpräsident. Daher müsse man auch gemeinsam handeln, die Türkei und die EU hätten das gleiche Schicksal.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, der Visa-Liberalisierungsprozess sei "für uns sehr wichtig". Es gebe auch eine Verbindung mit dem Rückübernahme-Abkommen. Wenn alle Anforderungen erfüllt seien, könne die Visa-Befreiung im Herbst 2016 in Kraft treten. Aber "die Grundkriterien werden nicht geändert". Dies sei von türkischer Seite auch klar verstanden worden. Tusk konzedierte, dass EU und die Türkei zugesagt hätten, "das Tempo bei den Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen, um Fortschritte zu erzielen". Aber die Bedingungen würden die gleichen bleiben.

Vorsichtiges Versprechen

Ob die nun an die Türkei von der EU beschlossene Hilfe von drei Mrd. Euro sicherstellen kann, dass die Flüchtlingszahlen nach Europa zurückgehen, konnte Davutoglu nicht garantieren. "Niemand kann etwas garantieren in Bezug auf Syrien. Aber ich kann zusichern, dass die Türkei alle Versprechen halten wird, die im Aktionsplan enthalten sind". Sein Ziel sei es, zu verhindern, dass es neue Wellen von Flüchtlingen aus Syrien gebe. Dies werde aber weder die Türkei noch die EU allein bewerkstelligen können, dazu müssten sich die internationalen Partner einbringen.

Die Türkei beherberge fast 2,2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, weitere 300.000 aus dem Irak. "In einigen Städten gibt es mehr syrische Flüchtlinge als türkische Bürger", sagte Davutoglu. Er betonte, dass die drei Milliarden Euro "keine Spende für die Türkei sind. Das Geld wird den syrischen Flüchtlingen zugutekommen".

Zuversicht

Juncker zeigte sich erfreut über die "Initiative" von acht EU-Staaten, unter ihnen Österreich und Deutschland, über die Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei. "Bis 15. Dezember sollen konkrete Vorschläge vorliegen, wie dies im Detail abgewickelt wird". Juncker verwies gleichzeitig auf die Freiwilligkeit dieser Initiative.

Der Kommissionspräsident zeige sich zuversichtlich über die weitere Kooperation mit der Türkei. Aber "man kann nur zu zweit Tango tanzen", forderte er auch Maßnahmen von Ankara ein. "Wir haben vorschlagen, eine Reihe neuer Kapitel zu eröffnen, auch Kapitel 24 - Freiheit und Sicherheit".