Am Donnerstag wurden in Ungarn 500 Flüchtlinge, die glaubten, im Zug nach Deutschland zu sitzen, in ein Lager gebracht.

Angesichts der chaotischen Zustände in Ungarn und schockierender Fotos von der Leiche eines ertrunkenen Flüchtlingskinds hat sich die Debatte in der Europäischen Union über den Umgang mit der Krise vehement verschärft.

Wie die AFP am Donnerstag aus EU-Kreisen erfuhr, will Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Mitgliedstaaten vorschlagen, weitere 120.000 Flüchtlinge umzuverteilen.

Verbindliche Quotenregelung

Deutschland und Frankreich forderten zugleich eine verbindliche Quotenregelung. Mit der neuen Umverteilung solle auf die "sehr dringliche Situation in Italien, Ungarn und Griechenland" reagiert werden, hieß es aus EU-Kreisen. Die 120.000 Menschen sollten über ein Quotensystem verteilt werden - zusätzlich zu der angestrebten Verteilung von 40.000 Flüchtlingen, die auf freiwilliger Basis bereits vorgesehen ist.

Der Plan der Kommission, diese ersten 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland über verpflichtende Quoten auf alle EU-Staaten zu verteilen, war im Juni am Widerstand einer Reihe osteuropäischer Staaten und Großbritanniens gescheitert. Vereinbart wurde im Juli lediglich die Verteilung von 32.000 Menschen auf freiwilliger Basis.

Die Außenminister der EU-Staaten kommen am Freitag in Luxemburg zusammen, um unter anderem über die dramatische Situation von Flüchtlingen zu beraten. Schwerpunkte der zweitägigen Gespräche soll die Situation in den Herkunfts- und Transitstaaten sein. Am Samstag sind auch Vertreter aus den westlichen Balkanstaaten nach Luxemburg eingeladen.

Spannungen zwischen Ungarn und Österreich

Die Situation in Ungarn sorgte derzeit auch für Spannungen mit Österreich. Angesichts dessen zitiert Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) für Freitag den ungarischen Botschafter ins Kanzleramt. "Die Genfer Menschenrechtskonvention ist von allen Staaten der EU zu respektieren", sagte Faymann am Donnerstag. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wird am ebenfalls Freitag seinen ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto zu einer Aussprache treffen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) trifft in Skopje mit ihren Amtskollegen aus Ungarn, Mazedonien und Serbien.

Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz bekräftigte unterdessen ihre Ablehnung von Quoten, signalisierte aber Bereitschaft zur Aufnahme auf freiwilliger Basis. Polen sei "bereit, das Ausmaß unseres Engagements nach dem Prinzip der Freiwilligkeit zu diskutieren", erklärte sie in Warschau. Auch Portugal stellte die Aufnahme von mehr Flüchtlingen in Aussicht.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Francois Hollande einigten sich auf eine gemeinsame Initiative für verbindliche Quoten. Bei einem Besuch in der Schweiz sprach Merkel von einem notwendigen "Prinzip der Solidarität". Nach Hollandes Angaben sollen die Vorschläge den EU-Innenministern am 14. September vorgelegt werden.

Gemeinsames Handeln gefordert

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warnte, die Flüchtlingskrise bringe durch die Wiederkehr von Grenzkontrollen die Reisefreiheit in Europa in Gefahr. Die EU müsse daher gemeinsam handeln. Der britische Premierminister David Cameron, dessen Land dem Schengenraum nicht angehört, sagte eine "Überprüfung" der Aufnahmezahlen zu.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte vor einer Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa und forderte die "faire Verteilung" von "mindestens 100.000 Flüchtlingen" unter den EU-Staaten. Die EU müsse die Krise "ernsthaft angehen", sagte er bei einem Treffen mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban in Brüssel. Zugleich müsse Europa mehr zur Grenzsicherung tun.

Letztlich gab Tusk damit auch Orban Rückendeckung. Dessen Regierung steht in Europa seit Tagen in der Kritik. In Budapest hinderten die Behörden Flüchtlinge über Tage, Züge nach Österreich und Deutschland zu nehmen. Am Wochenende hatte Ungarn zudem einen Grenzzaun zu Serbien fertiggestellt, um Flüchtlinge von der unkontrollierten Einreise abzuhalten.

Lager in Ungarn statt Fahrt nach Deutschland

Im ungarischen Bicske haben sich am Donnerstagabend rund 500 Flüchtlinge - in anderen Meldungen war von 300 Menschen die Rede - gegen ihren Transport in ein Flüchtlingslager gewehrt. Sie waren acht Stunden vorher an der Weiterreise nach Westen gehindert worden, wie die Polizei bestätigte.

Gegen Mittag waren sie in Budapest in einen Zug Richtung Sopron an der österreichischen Grenze gestiegen, in der Hoffnung, von dort nach Österreich zu gelangen. Ihnen droht nun die Abschiebung zurück nach Südosten.

Unerwartet stoppte die Polizei diesen Zug unterwegs in Bicske, 37 Kilometer westlich von Budapest. Sie forderte die Reisenden auf, auszusteigen. 20 Busse standen für ihren Transport in das Flüchtlingslager von Bicske bereit. Auch Dolmetscher waren da. Ein Teil der Flüchtlinge sei in das Lager gebracht worden, viele saßen am späten Abend aber noch im Zug und bestanden darauf, nach Westen zu reisen.

Die Polizei erklärte ihr Vorgehen damit, dass sie nur die Personalien der Flüchtlinge habe kontrollieren wollen. Dies sei wegen der chaotischen Zustände am Budapester Ostbahnhof nicht möglich gewesen. Deswegen habe man den Zug in Bicske aufgehalten.

Diejenigen Flüchtlinge, die sich jetzt in Bicske freiwillig kontrollieren lassen, würden in ein Aufnahmelager gebracht. Jene, die die Kontrolle verweigerten, würden abgeschoben, erklärte der Vize-Chef der ungarischen Einwanderungsbehörde, Attila Kiss. Laut ungarischen Regelungen werden Flüchtlinge in das Land abgeschoben, aus dem sie eingereist sind. In den meisten Fällen ist dies derzeit Serbien.

Die seit Mittag im Zug sitzenden Flüchtlinge verweigerten demonstrativ die von der Polizei angebotene Nahrung, berichtete die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI. Freiwillige, die den Flüchtlingen Essen bringen wollten, wurden zugleich von der Polizei nicht zum Zug vorgelassen.

Orban verteidigte Vorgehen

Orban verteidigte in Brüssel das ungarische Vorgehen: Die Krise erfülle die Menschen nicht nur in Ungarn "mit Angst", sagte er. Dies sei aber "nicht ein europäisches", sondern "ein deutsches Problem". "Alle wollen nach Deutschland", sagte Orban. Ungarn stehe in der Pflicht, Flüchtlinge zu registrieren, und müsse seine Grenze nach dem Schengenabkommen sichern.

Bestürzung lösten Fotos eines vor der türkischen Küste ertrunkenen Buben aus Syrien aus. Ein Bild zeigt die Leiche des dreijährigen Aylan, die nach dem Kentern eines Flüchtlingsboots am Mittwoch mit dem Gesicht im Sand an einem Strand nahe dem Ferienort Bodrum gefunden wurde. Vier aus Syrien stammende mutmaßliche Schleuser wurden in dem Fall festgenommen.