Mit teilweise stark nationalistischen und anti-westlichen Tönen gab die Ansprache einen Hinweis auf die Taktik der islamisch-konservativen AKP vor der Neuwahl am 1. November. Die Partei ist laut Umfragen aber weit von einer Mehrheit für Erdogans Pläne, die Türkei in eine Präsidialrepublik umzubauen, entfernt.

Die Minister der Übergangsregierung aus AKP und anderen Parteien sollen laut Medienberichten am Samstag ihre Posten übernehmen. Die Kurdenpartei HDP entsendet drei Minister, doch lehnen die säkulare CHP und die nationalistische MHP eine Beteiligung ab. Trotz der Linie seiner Partei nahm der MHP-Politiker Tugrul Türkes die Einladung Davutoglus an; er ist nun als stellvertretender Ministerpräsident im Gespräch. Davutoglu wollte sich um 17.45 Uhr Ortszeit (16.45 Uhr MESZ) mit Erdogan treffen.

Die Zeitung "Hürriyet" meldete, Davutoglu werde neben Türkes auch andere Persönlichkeiten aus dem Umfeld der MHP in die Regierung aufnehmen. Damit wolle der Ministerpräsident im Wahlkampf den Vorwurf der Nationalisten entkräften, er koaliere lediglich mit der Kurdenpartei HDP. Die AKP und die HDP sprechen zum Teil dieselben Wählerschichten an. Viele türkische Nationalisten lehnen eine Zusammenarbeit mit der HDP strikt ab.

In seiner Rede vom Freitag warf Davutoglu dem Westen vor, den Aufstieg der Türkei zur Regionalmacht verhindern zu wollen. "Imperialistische Kreise" machten gegen die Türkei mobil, sagte er in Anspielung auf den Westen. Er bekräftigte auch den Vorwurf, ausländische Kräfte hätten hinter den regierungsfeindlichen Gezi-Protesten des Jahres 2013 gestanden.

Die Neuwahl am 1. November war notwendig geworden, weil Davutoglu nach Verlusten der erfolgsverwöhnten AKP bei der regulären Parlamentswahl am 7. Juni mit der Bildung einer Regierungskoalition scheiterte. Viele Beobachter nehmen an, dass Präsident Erdogan die Koalitionssuche bewusst hintertrieb. Erdogan ist demnach überzeugt, dass die AKP bei einer Neuwahl die im Juni verlorene Parlamentsmehrheit zurückerobern kann. Das eigentliche Ziel des Staatspräsidenten bleibt eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems.

Von einer dafür nötigen verfassungsändernden Mehrheit im Parlament ist die AKP laut Umfragen allerdings weit entfernt; nach einigen Befragungen steht die Partei vor weiteren Stimmenverlusten.

Das regierungsnahe Institut ORC meldete einen Stimmanteil von 43,7 Prozent für die AKP, was einem Plus von etwa drei Prozentpunkten im Vergleich zum Juni entspräche. Demnach kann die AKP mit 276 Sitzen im Parlament rechnen, was eine knappe absolute Mehrheit wäre. Für eine Verfassungsänderung braucht die AKP aber mindestens 330 Sitze. Andere Demoskopen sehen die AKP ohnehin weit schwächer. Laut dem Institut Gezici sackte die AKP auf 38,9 Prozent und 240 Sitze ab.