Die Staatsanwaltschaft in der Türkei weitet ihre Ermittlungen gegen die pro-kurdische Oppositionspartei HDP aus. Nach HDP-Chef Selahattin Demirtas droht nun auch der Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdag ein Prozess.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, Propaganda für die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und damit für eine "Terrorgruppe" gemacht zu haben, wie die regierungsnahe Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag berichtete. Demirtas wies im ZDF und im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Vorwürfe zurück, er habe zu bewaffneten Protesten angestachelt. Auch gegen weitere HDP-Mitglieder soll ermittelt werden.

Die HDP hatte bei den Parlamentswahlen im Juni aus dem Stand gut 13 Prozent erreicht und der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP damit entscheidende Stimmen für die absolute Mehrheit abgejagt. Staatschef und AKP-Mitbegründer Recep Tayyip Erdogan drohte jüngst führenden HDP-Politikern mit strafrechtlicher Verfolgung.

"Politsch motiviertes Timing"

"Das Timing zeigt, dass die Vorwürfe politisch motiviert sind und dass die Türkei ganz klar keine unabhängige Justiz hat", sagte der Wissenschaftler Gareth Jenkins vom Silk Road Studies Program der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Die HDP wirft der AKP angesichts schwieriger Koalitionsgespräche vor, Neuwahlen und die Alleinregierung anzustreben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach sich unterdessen für die Abhaltung von Neuwahlen aus, sollten die laufenden Koalitionsgespräche in Ankara ergebnislos bleiben. Zudem zeigte er sich am Donnerstag bei einem Flug von China nach Indonesien skeptisch bezüglich des Bestandes einer Koalitionsregierung.

Die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG bekämpfen die Terrormiliz IS in Syrien und sind damit Verbündete der USA. Die Führung in Ankara befürchtet die Gründung eines Kurdenstaats, der die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden in der Türkei beflügeln könnte. Nach Terroranschlägen mit Dutzenden Toten in der vergangenen Woche fliegt die Türkei Luftangriffe auf Stellungen des IS und der PKK. Sowohl die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK als auch Erdogan erklärten den 2013 gestarteten Friedensprozess für beendet.

Missbilligend äußerte sich Demirtas im "Spiegel" über die Haltung der USA zu den Bombardements auf PKK-Stellungen. "Ich kritisiere die USA dafür, dass sie die türkischen Luftangriffe auf die PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak zugelassen haben, nur damit die Türkei ihnen die Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Incirlik im Kampf gegen den IS erlaubt."

24 Jahre Haft drohen

Im ZDF-"heute-journal" sagte Demirtas, die HDP habe zur PKK überhaupt keine Beziehungen. Die HDP bekomme "von niemandem Anweisungen, ... auch nicht von der PKK". Die internationale Gemeinschaft müsse darauf dringen, dass "sich die Türkei mit der PKK wieder an den Verhandlungstisch setzt". Sollte es zur Anklage kommen, drohen Demirtas 24 Jahre Haft.

Der Präsident des autonomen Gebiets Kurdistan im Nordirak, Massoud Barzani, macht die PKK mitverantwortlich für das Ende des Aussöhnungsprozesses in der Türkei. "Dass der Friedensprozess zwischen Türken und Kurden bedroht ist, liegt nicht nur am türkischen Präsidenten Erdogan, sondern auch an Hardlinern bei der PKK, die keinen Frieden wollen", sagte er dem Magazin "Focus".

Bei einem Angriff kurdischer Aufständischer auf ein Polizeirevier in Adana im Süden der Türkei wurden am Freitag zwei Rebellen und zwei Polizisten getötet, wie die Nachrichtenagentur Dogan berichtete.