Ein Gericht in Libyen hat den Sohn des gestürzten Machthabers Muammar al-Gaddafi, Saif al-Islam, zum Tode verurteilt. Die Richter in Tripolis sprachen ihn am Dienstag unter anderem wegen Mordes und Korruption schuldig, wie die staatliche Nachrichtenagentur berichtete. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

Saif al-Islam al-Gaddafi hatte ab den 1990er-Jahren teilweise in Österreich gelebt und in Wien studiert. Er unterhielt unter anderem enge Beziehungen zum damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider und zu FPÖ-Funktionären.

Archivbild aus dem Jahr 2007: Jörg Haider mit Saif al-Islam in Velden

Das Gericht in Tripolis verurteilte am Dienstag zudem acht Vertraute des langjährigen Machthabers zur Hinrichtung durch ein Erschießungskommando, darunter der frühere Regierungschef Baghdadi al-Mahmoudi und der ehemalige Geheimdienstchef Abdullah Senussi. Ihnen wurden Verbrechen während des blutig bekämpften Aufstands gegen Gaddafi im Jahr 2011 vorgeworfen.

Der Prozess gegen den einst als Gaddafis Nachfolger auserkorenen al-Islam hatte im April in der libyschen Hauptstadt begonnen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte sich zuvor vergeblich um eine Auslieferung des Gaddafi-Sohns bemüht. Der IStGH hatte auf dem Höhepunkt der Revolte Haftbefehl gegen ihn und Senussi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Anschließend entbrannte ein Streit zwischen Tripolis und Den Haag darüber, vor welchem Gericht sich die beiden Männer verantworten sollten.

Saif al-Islam erschien aus Sicherheitsgründen niemals persönlich vor den Richtern, sondern nahm zeitweise per Videoschaltung an den Verhandlungen teil. Saif al-Islam wird seit seiner Gefangennahme Ende 2011 in der westlibyschen Stadt Al-Sintan festgehalten. Kurz zuvor war sein Vater mit 69 Jahren in seiner Heimatstadt Sirte von Rebellen erschossen worden.

Porträt des "Kronprinzen"

Saif al-Islam al-Gaddafi (43) war bis zum Aufstand gegen seinen Vater das sanfte Gesicht des despotischen Gaddafi-Clans. Anders als sein Vater und seine Brüder Hannibal und Al-Saadi fiel er weder durch Skandale noch durch cholerische Ausbrüche auf. Wie sein Vater Muammar pflegte er aber enge Kontakte zu Österreich.

Was an den Auftritten des Gaddafi-Sohnes schockierend wirkte, war die Lässigkeit bis hin zum Zynismus, die Saif al-Islam an den Tag legte, wenn er über Folter und Rüstungsgeschäfte sprach - Themen, die von arabischen Politikern sonst meist umschifft wurden. Sein Image als Liberaler und möglicher Reformer in Libyen war damit dahin.

Im Vergleich zu seinem Vater, dem der frühere ägyptische Präsident Anwar al-Sadat den Spitznamen "der Verrückte aus Libyen" verpasst hatte, wirkte der Absolvent einer Londoner Universität bis zum Beginn des Aufstandes geradezu nüchtern und pragmatisch. Anders als der Vater, dem er nicht ähnlich sah, trat er ohne weibliche Leibgarde und farbenprächtige Gewänder auf. Bei seinen letzten öffentlichen Auftritten 2011 trug er allerdings einen dichten Vollbart und gab sich als Einpeitscher des Regimes. Ende 2011 wurde er gefangen genommen und in der westlibyschen Stadt Al-Sintan festgehalten. Sein Vater war kurz davor von Rebellen in seiner Heimatstadt Sirte erschossen worden.

Saif al-Islam wollte das libysche System vorher nach eigenen Angaben schrittweise umbauen. Er wollte einige Elemente der politischen Theorie seines Vaters über Bord werfen. Er glaubte, dass Libyen eine Verfassung und eine effektive Verwaltung haben sollte. Einmal erklärte er sogar: "Wir in Libyen träumen von Demokratie."

Saif al-Islam al-Gaddafi machte jahrelang von sich reden, indem er sich in verworrene Konflikte einschaltete und sie zu lösen half. Erstmals tauchte seine Gaddafi-Stiftung für Entwicklung im Jahr 2000 in ausländischen Schlagzeilen auf: Damals half er bei der Befreiung der deutschen Familie Wallert, die islamische Fanatiker auf den Philippinen entführt hatten. Die deutsche Regierung bedankte sich ausdrücklich bei der "libyschen Seite", nachdem Gaddafis Stiftung den Entführern eine "Entwicklungshilfe" von 25 Millionen Dollar (18,3 Mio. Euro) angeboten hatte und die Göttinger Familie freigekommen war.

Die Stiftung des Diktatorensohns vermittelte auch, als es um die Entschädigung für die Lockerbie-Opfer ging - libysche Geheimagenten standen hinter dem Anschlag auf ein US-Flugzeug, bei dem 1988 über Schottland 270 Menschen ums Leben kamen. Und sie handelte 2004 ein Abkommen mit den Hinterbliebenen des Flugzeugattentats von Niger aus, bei dem 1989 Dutzende Franzosen starben; auch dafür waren libysche Agenten verantwortlich.

Im Fall der acht Jahre lang in Libyen eingekerkerten bulgarischen Krankenschwestern sorgte die Gaddafi-Stiftung nach eigenen Angaben dafür, dass die Familien der libyschen Kinder entschädigt wurden, denen die bulgarischen Krankenschwestern angeblich absichtlich mit dem HI-Virus verseuchte Blutkonserven gegeben hatten. Für jedes der mehr als 400 Kinder sei eine Million Dollar gezahlt worden. Libyen habe keinen Groschen gezahlt, betonte der Sohn von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Frankreich habe das Geld organisiert, mehr wusste er nicht. "Wir haben keine Fragen gestellt."

Saif al-Islam wurde am 25. Juni 1972 in Tripolis geboren, studierte dort später Architektur, legte 1995 sein Diplom ab und baute einen großen Immobilienkomplex mit Hotels, Wohnungen und einer Moschee. Fünf Jahre später ging er an die International Business School in Wien - wo er nicht nur Deutsch lernte, sondern sich auch mit der früheren Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider anfreundete. Er habe "mit fast allen rechtsextremen Politikern in Europa gute Beziehungen", stellte er einmal fest. Nächste Station war die London School of Economics.

Den Namen von Saif al-Islam - übersetzt "Schwert des Islam" - haben Muammar al-Gaddafi und seine zweite Ehefrau Safiya für ihren Sohn ausgesucht. Durch besonders großen religiösen Eifer war der "Kronprinz" aus Tripolis aber nicht aufgefallen. Nur in der Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen hatte er Position bezogen und die Muslime zu Protesten gegen die Darstellung ihres Propheten aufgerufen. Die Aufständischen, die sich gegen ihn und seine Familie erhoben hatten, waren in seinen Augen radikale Islamisten, die in Libyen einen Gottesstaat errichten wollten.