Nach den Worten von Außenminister John Kerry ist "jetzt die Zeit", um zu sehen, ob ein Atom-Deal mit dem Iran möglich ist oder nicht. Kerry betonte vor Journalisten am Sonntag vor dem Wiener Palais Coburg: "Wir sind noch nicht dort, wo wir hinmüssen". Es habe aber in den letzten Tagen "enorme Fortschritte" gegeben, fügte der US-Chefdiplomat hinzu.

"Ich bin völlig einer Meinung mit (dem iranischen Außenminister Mohammad) Javad Zarif, dass wir noch nie näher als jetzt (an einer Einigung) waren", so Kerry. Es seien aber noch einige Fragen offen, die gelöst werden müssten. Wenn in den Verhandlungen richtige Entscheidungen getroffen würden, sei ein Deal möglich, "wenn nicht, dann nicht".

Auf die Frage von Journalisten, was geschehe, sollte keine Einigung zustande kommen, sagte Kerry: "Wir werden keinen schlechten Deal akzeptieren, wir wollen einen guten Deal." Wenn sich die andere Seite "absolut unnachgiebig zeigen sollte, sind wir gewillt, vom Verhandlungstisch aufzustehen", so der US-Außenminister. "Dies ist aber nicht unser Ziel", betonte Kerry.

Atomgespräche auf der Zielgeraden

Zwei Tage vor Ablauf der Frist für die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm sind die Außenminister der USA und des Iran in Wien erneut zu direkten Gesprächen zusammengekommen, um letzte offene Fragen zu klären. Sonntagabend wurden auch die Außenminister Russlands, Deutschlands und Frankreichs, Sergej Lawrow, Laurent Fabius und Frank-Walter Steinmeier, sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erwartet.

"Die Verlängerung der Gespräche ist für niemanden eine Option. Wir versuchen, den Job zum Abschluss zu bringen", sagte der iranische Chefunterhändler Abbas Araqchi dem iranischen Staatsfernsehen am Samstagabend. Die Atmosphäre der Gespräche mit der Gruppe der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands sei "positiv". Gleichzeitig betonte Araqchi, sollten die Minimalforderungen seines Landes nicht erfüllt werden, würde die iranische Delegation lieber ohne Einigung abreisen.

Der Sprecher der iranischen Atomenergieorganisation (AEOI), Behrouz Kamalvandi, warnte am Samstag vor einer harten Reaktion Teherans, sollte ein Atom-Deal am Druck des Westens scheitern. Er wiederholte dabei laut Nachrichtenagentur FARS entsprechende Aussagen des iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Dieser hatte vor einigen Tagen erklärt, sollte sich die andere Seite entscheiden, wieder die Option des Drucks auf Teheran zu wählen, "wird die Antwort harscher sein als es sich die andere Seite vorstellen kann".

Offenbar war eine Einigung bei der Frage in Reichweite, wann welche Sanktionen aufgehoben werden. Während der Iran sämtliche in dem Atomstreit verhängten Finanz- und Handelssanktionen bei Unterzeichnung des Abkommens aufgehoben sehen will, möchte die 5+1-Gruppe dies erst tun, wenn der Iran seine wichtigsten Verpflichtungen erfüllt hat. Ein westlicher Diplomat sagte, es gebe bei den Strafmaßnahmen von EU und USA eine Einigung, nicht aber bei den UN-Sanktionen.

Der zweite wichtige Streitpunkt betrifft die Kontrolle iranischer Militäranlagen. Die 5+1-Gruppe will damit sicherstellen, dass der Iran nicht insgeheim neue Atomanlagen baut. Zudem soll den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) so ermöglicht werden, ihre Untersuchung zu einem möglichen militärischen Atomprogramm vor 2003 abzuschließen.

Der IAEA-Generaldirektor Yukia Amano sagte am Samstag, mit der Kooperation des Iran könnte bis Ende des Jahres ein Bericht zu dieser Frage fertiggestellt werden. Die IAEA geht seit Jahren dem Verdacht nach, dass der Iran vor 2003 ein militärisches Atomprogramm unterhielt. Sie wirft Teheran vor, ihr nicht vollen Zugang zu allen verdächtigen Stätten zu gewähren.

Teheran bestreitet, jemals an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet zu haben. Die Klärung der Vorwürfe ist eine zentrale Forderung der 5+1-Gruppe.

Ein weiterer offener Punkt ist die Frage der Forschung und Entwicklung moderner Uran-Anreicherungszentrifugen durch den Iran. Mit solchen Zentrifugen könnte Uran theoretisch viel schneller auf Waffenfähigkeit angereichert werden.

Abschluss bis Dienstag

Die Verhandlungen in Wien sollen bis Dienstag zum Abschluss kommen. Gelingt eine Einigung in dem jahrelangen Konflikt könnte dies weitreichende Folgen für die ganze Region haben.

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte die Hoffnung, dass ein Erfolg bei den Atomverhandlungen "einen Impuls für die Lösung anderer Konflikte in der Region liefert". Dem "Tagesspiegel am Sonntag" sagte er, es sei dringend nötig, in Syrien mit den entscheidenden Akteuren einen neuen Anlauf zu unternehmen, "um zumindest zu einer Eindämmung der Gewalt zu kommen".

Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif sagte in einer Videobotschaft, ein Abkommen könnte "neue Horizonte öffnen, um wichtige gemeinsame Herausforderungen anzugehen". "Unsere gemeinsame Bedrohung heute ist die wachsende Gefahr durch gewaltsamen Extremismus und Barbarei", sagte Zarif mit Blick auf die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak und Syrien.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu warf der 5+1-Gruppe derweil vor, immer weitere Zugeständnisse an Teheran zu machen. "Was sich bei den Gesprächen in Wien abzeichnet ist ein Zusammenbruch, kein Durchbruch", sagte Netanyahu bei der wöchentlichen Kabinettssitzung am Sonntag. Israel, das nach Ansicht von Experten selbst Atomwaffen besitzt, ist ein scharfer Kritiker der Verhandlungen.

Journalistenansturm bei Gesprächen

In Wien lud Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) als Gastgeber der Atomgespräche am Sonntagvormittag rund 560 akkreditierte Medienvertreter ins Außenamt zu einem Brunch in sein Ministerium ein. Etwa 200 von ihnen nahmen teil. Die Journalisten aus 70 Ländern sind bereits seit fast zwei Wochen in Österreich und arbeiten quasi rund um die Uhr, um von den neuesten Entwicklungen im Atomkonflikt zu berichten.