Die Beteiligung an der Volksabstimmung dürfte nach übereinstimmenden Berichten griechischer Medien am frühen Sonntagnachmittag die 40 Prozent übertroffen haben. Damit werde das Ergebnis des Referendums über das griechische Sparprogramm rechtskräftig sein, hieß es. Die Medien berufen sich auf Informationen aus dem Innenministerium. Bei Volksabstimmungen muss in Griechenland die Wahlbeteiligung bei mindestens 40 Prozent liegen. Anderenfalls hat das Ergebnis keine Wirkung. Die Wahllokale sollten um 19.00 Ortszeit (18.00 MESZ) schließen. Erste aussagekräftige Ergebnisse werden etwa zwei Stunden später erwartet.

Tsipras warb am Sonntag erneut für ein "Nein" bei dem Votum. Von einem solchen Ergebnis werde die Botschaft ausgehen, dass die Griechen nicht nur in Europa bleiben, sondern in Würde dort leben wollten, sagte der Premier nach der Abgabe seiner Stimme in Athen. Europa werde zu Demokratie und Solidarität zurückfinden.

Die Opposition und die europäischen Gläubiger warnten, ein Nein werde alles noch schwieriger machen und könne ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro und sogar aus der Europäischen Union nach sich ziehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warb klar für ein Ja.

Umfragen zufolge zeichnet sich ein knappes Rennen beider Lager ab. Tsipras hatte die Volksabstimmung zur Verärgerung der Geldgeber überraschend am Samstag vor einer Woche angesetzt. Die Verhandlungen gerieten danach in eine Sackgasse; noch zur Verfügung stehen Hilfsgelder in Milliardenhöhe für das von der Staatspleite bedrohte Land verfielen am Dienstag. Ohne neue Hilfskredite droht ein schneller Zusammenbruch der Banken und der Staatsfinanzen.

Das Votum der Bevölkerung gilt als wichtiges Signal für eine mögliche Wiederaufnahme der Gespräche. Mit einer schnellen Rettung können die Griechen jedoch kaum rechnen. Berlin dämpfte Hoffnungen der Regierung in Athen, zügig frische Hilfsgelder zu erhalten.

Über nennenswerte Zwischenfälle bei dem Referendum wurde zunächst nichts bekannt. Es gebe landesweit keine Probleme, teilte das Innenministerium in Athen mit. Die wichtigsten Politiker des Landes gaben in der Früh ihre Stimmen ab.

Tsipras bezeichnete die Abstimmung als einen Sieg der Demokratie. Der konservative Oppositionsführer Antonis Samaras betonte hingegen: "Wir Griechen entscheiden heute über das Schicksal unseres Landes. Wir sagen ja zu Griechenland und ja zu Europa." Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos rief die Griechen zur Einheit auf. "Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung werden wir den schweren Weg, der nach dem Referendum vor uns liegt, gemeinsam gehen müssen", sagte er.

Der Chef der aufstrebenden spanischen Protestpartei Podemos ("Wir können"), Pablo Iglesias, erklärte sich solidarisch mit der Regierung in Athen und warf den Geldgebern "Tyrannei" vor. Die Gläubiger versuchten den Menschen in Griechenland und auch in Spanien mit Drohungen Angst einzujagen. Er nahm damit Äußerungen des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis auf: "Was man mit Griechenland macht, hat einen Namen: Terrorismus", hatte der gesagt.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble schloss ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht aus. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte jedoch vor den Folgen. "Selbst wenn wir eine solche Entwicklung finanz- und währungspolitisch bewältigen können, wäre das Signal eines Grexit an die Länder außerhalb der EU verheerend", sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". China, Indien und die USA beobachteten genau, ob die Europäer diese Krise meisterten.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), warf der Regierung Tsipras eine Mentalität des Alles-oder-Nichts vor. Er sei von dieser "ideologischen" Haltung "100 Prozent von Nichts ist mehr als ein Prozent von Etwas und wer ein Prozent von Etwas nimmt, ist ein Verräter an der hehren Sache" überrascht worden, sagte er dem Deutschlandfunk am Sonntag.

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) rechnet mit einem Ja zu den umstrittenen Spar- und Reformauflagen. Das griechische Volk wisse, dass es nicht nur um die Zukunft des Euro gehe, sondern auch um die Zukunft Griechenlands, sagte Schelling gegenüber Medien.

Die internationalen Geldgeber, die Reformen im Gegenzug für weitere Hilfen verlangen, seien zu Verhandlungen bereit, bekräftigte Schelling: "Wir sind den Griechen sehr weit entgegen gekommen und unsere Hand bleibt ausgestreckt."

Eine wichtige Stimme des linken Flügels der griechischen Regierungspartei Syriza gibt dem Land wenig Chancen auf Verbleib im Euro. "Was die Europäer wollen, ist nicht ein Kompromiss, sondern die Regierung zu erniedrigen und ihre totale Kapitulation", sagte das Zentralkomitee-Mitglied Stathis Kouvelakis, ein Wortführer der Linken Plattform innerhalb der linksgerichteten Syriza, am Sonntag.

Im Fall eines Neins der Griechen beim Referendum am Sonntag hält Kouvelakis es für "extrem wahrscheinlich", dass die Gläubiger der Eurostaaten und des Internationalen Währungsfonds (IWF) weitere Gespräche verweigern. Dies werde sich schon am Montag zeigen, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) wohl die Liquidität für die griechischen Banken kappe. "Wenn die harte Linie siegt, dann betreten wir eine neue Phase verschärfter Konfrontation", sagte er.