Nach der größten Militärparade in der russischen Geschichte hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sich bei einem Besuch in Moskau vor den sowjetischen Opfern des Zweiten Weltkriegs verneigt. Gemeinsam mit Präsident Wladimir Putin legte Merkel einen Kranz nieder.

Annexion war "verbrecherisch"

Im anschließenden Gespräch forderte sie vom Kremlchef mit Nachdruck ein stärkeres Einlenken in der Ukraine-Krise. "Durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat die Zusammenarbeit (zwischen Deutschland und Russland) einen schweren Rückschlag erlitten", sagte Merkel. Es gehe darum, die territoriale Einheit der Ukraine wieder herzustellen. Russlands Einverleibung der Schwarzmeerhalbinsel Krim und die Gewalt in der Ostukraine seien eine Gefährdung der europäischen Friedensordnung, mahnte Merkel.

Putin räumte ein, dass die russisch-deutschen Beziehungen "nicht die besten Zeiten" erleben würden. "Ja, wir sehen die Dinge verschieden", meinte er. Es gebe jedoch keine Alternative zu einer friedlichen Lösung der Krise. Ungeachtet der immer wieder aufflammender Gefechte sieht Putin Fortschritte im Friedensprozess zwischen der Ukraine und den prorussischen Rebellen im Osten des Lande. Die Lage in der Ukraine habe sich etwas beruhigt, sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.

"Grandioser Sieg"

Russland hatte am Vortag mit einer pompösen Waffenschau den Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland vor 70 Jahren gefeiert. Viele westliche Staats- und Regierungschefs hatten Putins Einladung zur Feier wegen Russlands Haltung in der Ukraine-Krise boykottiert. Sie sehen Moskau als "Aggressor" in dem Krieg zwischen der prowestlichen Führung in Kiew und prorussischen Separatisten im Donbass. Putin bezeichnete Deutschland als "Partner und Freund". Die Sowjetunion habe im Zweiten Weltkrieg nicht gegen Deutschland, sondern gegen Nazi-Deutschland gekämpft. "Deutschland war selbst das erste Opfer", meinte der Kremlchef. Daher sei es für ihn "ganz natürlich", dass Merkel 70 Jahre nach dem Krieg nach Moskau reise.

Unter beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen hatte Putin auf dem Roten Platz die Militärparade abgenommen. In einer Rede forderte er ein weltweites Sicherheitssystem ohne militärische Blöcke. Neben Putin als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte saß Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping als einer von mehr als 20 Staatsgästen. Putin nahm in der Rede indirekt Bezug auf die schwerste Krise zwischen Ost und West seit Ende des Kalten Krieges.

Versuche, eine "monopolare" Welt zu schaffen, nähmen zu, kritisierte er. Nötig sei ein System, das gleiche Sicherheit für alle Staaten garantiere. "Nur dann werden wir Frieden und Ruhe auf dem Planeten gewährleisten." Putin würdigte den "grandiosen Sieg" der Roten Armee über den Nazismus. Er hob auch die Rolle der westlichen Alliierten in der Anti-Hitler-Koalition hervor. Mit mehr als 27 Millionen Toten hatte die UdSSR die größte Opferzahl im Zweiten Weltkrieg. Zahlreiche Staatschefs von Ex-Sowjetrepubliken reisten zur Jubiläumsparade an. Auf einer Ehrentribüne verfolgten Hunderte Veteranen und unter anderem Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow bei frühlingshaftem Wetter die gut einstündige Gedenkfeier mit mehr als 16 000 Soldaten sowie rund 200 Fahrzeugen und etwa 140 Flugzeugen.

Nach einer Schweigeminute rollte schweres Kriegsgerät wie die atomar bestückbare Interkontinentalrakete RS-24 Jars am Kreml vorbei. Bomber wie die Tupolew Tu-160, die als größtes Kampfflugzeug der Welt gilt, donnerten über die Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale. Und erstmals präsentierte Russland den "Superpanzer" T-14 Armata. Die rund 50 Tonnen schwere Kampfmaschine wird von der Armee als Inbegriff einer neuen Panzer-Generation angepriesen. Die Parade gilt immer auch als Verkaufsschau der russischen Rüstungsindustrie.

Später zogen Hunderttausende mit Putin an der Spitze und mit Fotos ihrer Verwandten als Weltkriegsteilnehmer in Händen über den Roten Platz. Russland feiert das Kriegsende am 9. Mai und damit einen Tag später als der Westen, weil 1945 die deutsche Kapitulation vor den Sowjettruppen erst mit Verspätung unterzeichnet.