Laut einer Umfrage glauben 48,3 Prozent der Börsianer an einen "Grexit", also den Austritt Griechnelands aus der Eurozone. Dabei ist diese Wortschöpfung im griechischen Schuldenstreit streng genommen ein Missverständnis. Denn ein mit "Grexit" gemeinter Komplettaustritt Griechenlands aus der Eurozone ist auf Grundlage der EU-Verträge nur schwer vorstellbar, so lange es Mitglied der Europäischen Union ist. Das Gleiche gilt für das Kunstwort "Graccident", wenn damit auf einen ungewollten, unfallartigen Hellas-Austritt aus dem Währungsraum angespielt wird.

Einmal Euro, immer Euro

Kurz gefasst kann man die EU-Verträge in diesem Punkt so zusammenfassen: Einmal Euro, immer Euro. Denn das Zauberwort lautet "unwiderruflich." Darauf bezog sich auch der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Vitor Constancio, als er vorige Woche vor dem Währungsausschuss des EU-Parlaments sagte: "Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land formal, rechtlich aus dem Euro ausgeschlossen werden kann."

Nach Ansicht der EU-Kommission wird diese Einschätzung von zahlreichen Stellen in den EU-Verträgen untermauert. So erklärten die teilnehmenden Staaten bereits im Protokoll des Vertrags von Maastricht aus dem Jahr 1992 die "Unumkehrbarkeit" der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Diese dritte, unumkehrbare Stufe umfasst auch den Willen nach einer gemeinsamen Währung.

Im Vertrag von Lissabon von 2007 heißt es dann in Artikel drei: "Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist." Damit sind alle EU-Staaten an die Einführung gebunden. Nur für Großbritannien oder Dänemark, deren Regierungen mit dem Euro nichts zu tun haben wollen, wurden Ausnahmen gemacht. In mehreren Teilen des Vertrags zur Arbeitsweise der EU wird die Verpflichtung zur Einführung des Euro untermauert (so etwa in Artikel 119, Absatz zwei).

Lange Rechtsstreitigkeiten wären die Folge

Vor allem Artikel 140 des Vertrages von Lissabon ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da in Absatz drei die Festsetzung des Wechselkurses von der bisherigen Landeswährung zum Euro "unwiderruflich" festgelegt wird. Für Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EU ist und 2001 dem Euroraum beitrat, hätte es deshalb wohl unabsehbare rechtliche Folgen, wenn die Regierung entgegen aller Beteuerungen doch aus dem Währungsraum austreten sollte. Denn damit verstoße Athen auch gegen die EU-Verordnung 974/98 vom 2. Mai 1998 über die Einführung des Euro, sagt Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg: "Dann könnte jeder in- und außerhalb Griechenlands, der eine Forderung in Euro hat und in der neuen Währung bezahlt werden soll, die Zahlung in Euro einklagen."

Denn für jeden Staatsbediensteten oder Rentner wäre es wohl ein immenses Verlustgeschäft, wenn er in einer neuen griechischen Währung und nicht in Euro ausgezahlt würde. Die Verordnung 974/98 sei zwar als Einbahnstraße zum Euro ausgestaltet, wäre aber trotzdem die wahrscheinlichste Grundlage für eine "Austrittsverordnung", sagt Christoph Herrmann, Staats- und Europarechtler an der Universität Passau. So könne Griechenland aus dem Anhang der Verordnung gestrichen werden. Eine solche Rechtsänderung könne an einem Wochenende und ohne Beteiligung des EU-Parlaments bewältigt werden.

EU-Austritt und sofortiger Wiedereintritt

Ob sich der Gerichtshof der EU auf eine solche Interpretation von Artikel 140 einlassen würde, sei indes nicht abzuschätzen, sagt Herrmann. "Sollte es dennoch zu Grexit oder Graccident kommen (...) so würde dies eine Flut von Prozessen nach sich ziehen und auf Jahre erhebliche Rechtsunsicherheit in Griechenland mit sich bringen." Nach Ansicht von CEP-Expertem Kullas besteht rechtlich gesehen die einzige Möglichkeit für die griechische Regierung darin, aus der EU - und damit aus dem Euro - auszutreten.

Laut Artikel 50 des Vertrages von Lissabon ist ein solcher, selbst gewählter Abschied aus der Union möglich. Griechenland könnte dann versuchen, sofort wieder Mitglied der EU zu werden, ohne den Euro zu übernehmen. "Das halte ich aber nicht für wahrscheinlich", fügt Kullas hinzu. Wie andere Experten geht er im Falle einer Staatspleite von der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland aus. Auch Constancio brachte diese Option vor dem EU-Parlamentsausschuss ins Spiel und verwies auf das Beispiel Zypern, wo solche Beschränkungen angesichts der Bankenkrise 2013 vorübergehend eingeführt wurden, ohne dass das Land den Euroraum verließ.

Die Kontrollen, die Zypern Anfang April wieder vollständig aufhob, können nur von einer Regierung, nicht von der EZB oder anderen EU-Organen beschlossen werden. Für Griechenland ist nach Meinung von Experten nach einem Zahlungsausfall und den Kapitalverkehrskontrollen die Ausgabe von Schuldverschreibungen wahrscheinlich. "Diese nicht verzinsten Euro-Schuldscheine wären dann eine Art von Parallelwährung", sagt etwa Kullas. Das Vertrauen der Menschen in die Scheine wäre gering, die Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im Land massiv. In einem solchen Szenario ist Griechenland weiter Mitglied des Euroraumes. Der Finanzminister würde also weiter an Sitzungen der Eurogruppe teilnehmen und die Notenbank Teil der EZB bleiben. Eine korrekte Wortschöpfung für diesen Fall fehlt bisher.