Ein beschauliches Pensionistendasein war nicht seine Vorstellung vom Lebensabend. Auch mit 93 Jahren hat der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski publiziert, gearbeitet, sich zu Wort gemeldet und eingemischt. Am Freitagabend starb er in einem Warschauer Krankenhaus nach einem Schwächeanfall. Die Todesnachricht verbreiteten Präsident Bronislaw Komorowski und das Außenministerium über den Kurznachrichtendienst Twitter. Politiker aller Parteien äußerten sich betroffen über den Tod des Historikers und Politikers, der in seiner Heimat als Jahrhundertfigur und moralische Instanz galt.

Dass er ein so langes Leben haben würde, hätte der 1922 geborene Bartoszewski im Alter von 19 Jahren nicht gedacht. Damals war er Häftling in Auschwitz mit der Lagernummer 4427 und erlebte zum ersten Mal in seinem Leben "das Gefühl völliger Hilflosigkeit angesichts der Misshandlung von Menschen", wie er später oft erzählte.

Bartoszewski, der vor seiner Festnahme für das Polnische Rote Kreuz gearbeitet hatte, hatte Glück - er wurde im April 1941 schwer krank entlassen. Zurück in Warschau, schloss er sich der polnischen Widerstandsbewegung an. Er studierte im Untergrund und gehörte zu den Gründern der "Zegota", einer Widerstandsgruppe, die Hilfe für Juden organisierte. Im Warschauer Aufstand kämpfte er gegen die Nationalsozialisten, erlebte die völlige Zerstörung seiner Heimatstadt.

Für den gläubigen Katholiken war das Ende des Zweiten Weltkriegs nur die Befreiung von einer Diktatur - Mitglieder der bürgerlichen Widerstandsbewegung galten im stalinistischen Polen als politisch suspekt. Während der kommunistischen Herrschaft in Polen verbrachte Bartoszewski rund acht Jahre in Gefängnissen, erlebte Zensur, Bespitzelung, Überwachung.

So wie er sich im Zweiten Weltkrieg in der Widerstandsbewegung engagiert hatte, engagierte er sich nach 1945 in der polnischen Demokratiebewegung. Mehr noch - er war einer der Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung, suchte schon früh den Dialog mit Deutschland.

"Es lohnt sich, anständig zu sein", ist das Motto, das sich wie ein roter Faden durch Bartoszewski Bücher, Essays und Artikel zog. Der Mann, der die Würde des Menschen durch zwei Diktaturen verletzt sah, setzte in seiner politischen Arbeit und Philosophie vor allem auf den Gedanken der Menschlichkeit.

Erst die politische Wende des Jahres 1989 brachte auch für Bartoszewski den Wandel vom Dissidenten zum Entscheidungsträger. Zwei Mal war er Außenminister, in den vergangenen Jahren Berater des Regierungschefs für das Thema deutsch-polnischen Dialog. Bartoszewski erhielt für sein lebenslanges Engagement zahlreiche internationale Auszeichnungen, unter anderem das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Als "Gerechter unter den Völkern" wurde er von Israel mit der größten Ehrung ausgezeichnet, die das Land zu vergeben hat.