Die Menschenhändler, die Massen von Flüchtlingen aus Nordafrika nach Europa schleppen, finanzieren den islamischen Terrorismus. Davor warnte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni in einem Interview mit der römischen Tageszeitung "Il Messaggero". "Das kriminelle Geschäft der Schlepperbanden macht bereits zehn Prozent von Libyens Bruttoinlandprodukt aus", so Gentiloni.

Nach der Flüchtlingstragödie vor der Küste Libyens hat die italienische Polizei den tunesischen Kapitän und ein syrisches Besatzungsmitglied des vor der libyschen Küste gekenterten Flüchtlingsschiffes festgenommen. Sie waren unter den 27 der 28 Überlebenden der Katastrophe, die am späten Montagabend im Hafen der sizilianischen Stadt Catania eintrafen.

Die Ermittler berichteten, dass der Chef der festgenommenen Schlepperbande bis zu 80.000 Dollar (73.978 Euro) pro Schiff für die Überfahrt kassiert. Jeder Flüchtling zahlt circa 1.500 Dollar, um nach Italien zu gelangen. Flüchtlinge, die aus Äthiopien Europa erreichen wollen, müssen bis zu 5.000 Dollar zahlen. Schlepperbanden organisieren für 400 Euro die Flucht aus Flüchtlingseinrichtungen auf Sizilien. Um nordeuropäische Länder zu erreichen, müssten Migranten weitere 1.500 Euro zahlen.

Angesichts der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer fordert EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mehr Möglichkeiten zur legalen Einwanderung und eine europäische Quotenregelung für die Aufnahme von Flüchtlingen. "Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir weitere solche Tragödien erleben", sagte der deutsche SPD-Politiker der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag).

Schulz forderte eine europäische Quotenregelung: "Jetzt müssen sich diejenigen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten bewegen, die bisher zu wenig tun", sagte er. Bisher nähmen Deutschland, Frankreich und Schweden das Gros der Flüchtlinge auf. Auf eine stärkere Verteilung der Lasten auf mehr Länder dringt auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), wie Präsident Peter Maurer in Genf deutlich machte.

800 Todesopfer

Nach der Flüchtlingstragödie vor der Küste Libyens gehen die Vereinten Nationen nun von etwa 800 Todesopfern aus. "Man kann sagen, dass 800 Menschen gestorben sind", sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Italien, Carlotta Sami, am Dienstag in Catania. Der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Flavio Di Giacomo, bestätigte diese Schätzung.

Die UNO-Vertreter hatten zuvor mit den meisten der 27 Überlebenden des Unglücks gesprochen, die in der Nacht nach Catania gebracht worden waren. Demnach waren auch Kinder an Bord des Unglücksschiffs gewesen.

Nach dem Kentern des Flüchtlingsboots vor Libyen in der Nacht auf Sonntag hatte das UNHCR zunächst von etwa 700 Todesopfern gesprochen. Damals hatte Sami bereits gesagt, sollten sich die Zahlen bestätigen, wäre es das "schlimmste Massensterben, das jemals im Mittelmeer gesehen wurde".

Im Frachtraum eingesperrt

Das etwa 20 Meter lange Flüchtlingsschiff war rund 110 Kilometer vor der Küste Libyens und in rund 200 Kilometern Entfernung von der italienischen Insel Lampedusa in Seenot geraten und gekentert. Nur 28 Menschen überlebten. Nach Angaben eines Überlebenden, der vor der Ankunft der übrigen Überlebenden in Catania ins Krankenhaus eingeliefert worden war, befanden sich sogar 950 Flüchtlinge an Bord, darunter 50 Kinder und 200 Frauen. Die Schlepper hätten viele von ihnen im Frachtraum eingesperrt.

Seenothilfe massiv ausweiten

Als Reaktion auf die jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer will die Europäische Union die Seenothilfe massiv ausweiten. Bei einem Krisentreffen der Außen- und Innenminister am Montag in Luxemburg wurden Pläne für die Verdoppelung der Mittel für die EU-Programme Triton und Poseidon auf den Weg gebracht. Sie sollen den Einsatz von deutlich mehr Schiffen ermöglichen und noch am Donnerstag auf einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden.

Neben der Ausweitung der Seenotrettung könnten künftig gezielt von Schleppern genutzte Schiffe beschlagnahmt und zerstört werden. Vorbild sei die militärische Anti-Piraterie-Mission Atalanta am Horn von Afrika, sagte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in Luxemburg bei der Vorstellung eines Zehn-Punkte-Plans. Atalanta begleitet nicht nur zivile Schiffe, sondern zerstörte mehrfach auch Piratenlager.

Ansehen Europas steht auf dem Spiel

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, das Ansehen Europas stehe auf dem Spiel. Viel zu oft sei gesagt worden: "Nie wieder".

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hatte die EU zuvor ungewöhnlich scharf kritisiert. Die Hunderten von Toten seien das Ergebnis eines anhaltenden Politikversagens und eines "monumentalen Mangels an Mitgefühl", sagte Said Raad al-Hussein am Montag in Genf. Statt nach sinnlosen strengeren Abschottungsmaßnahmen zu rufen, müsse die EU endlich legale Fluchtwege und mehr Rettungskapazitäten für das Mittelmeer bereitstellen.

Die Hoffnung, im Mittelmeer weitere Überlebende der Katastrophe zu finden, schwand am Montag. Der italienischen Küstenwache zufolge war das Fischerboot mit Hunderten Flüchtlingen an Bord etwa 70 Seemeilen (130 Kilometer) vor der libyschen Küste gekentert.

Ob das Schiff und die vermutlich Hunderten Leichen geborgen werden können, war unklar. Die Küstenwache erklärte, möglicherweise werde es keine Gewissheit über die Zahl der Toten geben, da das Mittelmeer an der Unglücksstelle sehr tief sei.