Die Spaltung des Islam in zwei Hauptströmungen - Sunniten und Schiiten - geht auf die Frühzeit dieser Religion zurück und hat bereits damals zu blutigen Auseinandersetzungen geführt. Auch in der Gegenwart brodelt dieser Konflikt in zahlreichen islamischen Ländern mit wechselnder Intensität zum Teil gefährlich weiter.

Von besonderer Brisanz ist die derzeitige Situation im Jemen: Dort droht sich der lokale Bürgerkrieg zwischen den schiitischen Houthis und ihren sunnitischen Gegnern zu einem regionalen Flächenbrand auszuweiten. Eine Konfrontation zwischen dem Iran einerseits und Saudi-Arabien sowie anderen sunnitisch dominierten Ländern andererseits steht im Raum.

Auch der Bürgerkrieg in Syrien hat seine Wurzeln zu einem großen Teil in dem innerislamischen Konflikt. Ebenso sind in vielen anderen Ländern die sunnitisch-schiitischen Spannungen endemisch, etwa im Libanon, im Irak, in Bahrain, Pakistan oder Afghanistan. Anschläge radikaler Sunniten auf schiitische Moscheen sind keine Seltenheit.

1,6 Milliarden Sunniten

Die überwältigende Mehrheit der weltweit 1,6 Milliarden Muslime sind Sunniten, nur zehn bis 20 Prozent bekennen sich zum Schiitentum. Zu den Schiiten werden auch Strömungen wie die Aleviten in der Türkei und die Alawiten in Syrien gerechnet. Besonders strenggläubige Sunniten sprechen Schiiten und Aleviten die "Rechtgläubigkeit" ab.

Auslöser der Spaltung im Islam war die Frage der rechtmäßigen Nachfolge des im Jahr 632 verstorbenen Propheten Mohammed. In einer in der Urgemeinde umstrittenen Entscheidung wurde Mohammeds Schwiegervater Abu Bakr zum Nachfolger und damit zum ersten Kalifen ernannt. Er starb bereits zwei Jahre später. (Fast 1400 Jahre danach sollte sich der Anführer der Terrormiliz IS und selbst ernannte "Kalif" Ibrahim al-Badri den Namen "Abu Bakr al-Baghdadi" zulegen).

Die zweiten und dritten Kalifen, Omar und Uthman (Osman), wurden ermordet. Ein Teil ihrer Gegner sprach ihnen die Legitimität ab, weil sie keine Blutsverwandten des Propheten waren. Sie erachteten nur Ali ibn Talib, den Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, für würdig, dessen Nachfolge anzutreten. Ali wurde schließlich vierter Kalif - und damit letzter der sogenannten "rechtgeleiteten Kalifen", die die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, noch ungespalten führten.

Mit Alis Ermordung 661 in Kufa im heutigen Irak setzte das Schisma ein. Die "Shiat Ali", die "Partei Alis", wandte sich gegen den "Usurpator" Muawiya, der sich zuvor zum Gegenkalifen erklärt hatte. Die Konfrontation gipfelte in der Schlacht von Kerbala 680, die mit einer vernichtenden Niederlage der Schiiten unter Führung des Prophetenenkels Hussein endete. Der Sohn von Ali und Mohammeds Tochter Fatima starb im Kampf gegen Muawiyas Sohn Yazid. Bei den jährlichen Ashura-Trauerfeiern gedenken die Schiiten unter anderem mit Selbstgeißelungen dieses Ereignisses.

Die Nachfolger Muawiyas aus der Dynastie der Umayyaden residierten als Kalifen in Damaskus, wo sie auch eine berühmte Moschee errichten ließen. Unter ihrer Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert dehnte sich der Islam bis nach Spanien und in weite Teile Asiens aus. In den meisten der von den Umayyaden beherrschten Gebiete und darüber hinaus sollte sich in den folgenden Jahrhunderten der sunnitische Islam ("ahl al-sunna" - "Volk der Überlieferung") durchsetzen.

Südirak und in Persien

Im Südirak und in Persien etablierte sich dagegen die schiitische Glaubensrichtung. In ihr werden heilige "Imame" als Nachfahren des Propheten und Märtyrer verehrt. Die größte Gruppe bilden die "Zwölferschiiten", die an die Wiederkunft des vor rund 1000 Jahren "in die Verborgenheit entrückten" 12. Imams als "Mahdi" (Erlöser) glauben. Aus dem Schiitentum gingen auch liberale Strömungen wie die Aleviten hervor, die ihre Bezeichnung vom Kalifen Ali ableiten.

Eine (zahlenmäßig unbedeutende) islamische Glaubensrichtung, die weder zur Schia noch zum Sunnitentum gehört, bilden die Ibaditen, die im Oman die Mehrheit stellen. Sie gehen auf die frühislamische Bewegung der Kharijiten aus der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Muawiya und Ali zurück. Ali wurde übrigens von einem Kharijiten ermordet.

Vier Rechtsschulen

Für Spannungen innerhalb des Islam sorgen nicht nur das sunnitisch-schiitische Schisma sondern auch divergierende Auslegungen des Islamischen Rechts. Im sunnitischen Islam gibt es vier Rechtsschulen, die größte ist die seit 1912 auch in Österreich anerkannte hanafitische Rechtsschule. Sie gilt als vergleichsweise weltoffen, während die in Saudi-Arabien bestimmende hanbalitische Rechtsschule fundamentalistische Auffassungen vertritt.

Daneben sorgen Bewegungen, die einen radikalen Islam vertreten, schon seit Jahrhunderten für Spannungen. Fundamentalistische Prediger und Attentäter machten bereits im frühen Mittelalter den aufgeklärten Abbasiden-Kalifen in Bagdad zu schaffen. Im 11. Jahrhundert waren die schiitischen Assassinen besonders berüchtigt. Unter dem Einfluss von Haschisch sollen sie bedenkenlos ihr Leben für Terrorakte eingesetzt haben. Das französische Wort für "Mörder" - "assassin" - erinnert noch an sie.