Die türkische Polizei hat am Dienstagabend eine Geiselnahme in Istanbul mit Waffengewalt beendet. Die Beamten erschossen zwei Mitglieder einer linksextremen Gruppe, die in einem Istanbuler Gerichtsgebäude einen Staatsanwalt als Geisel genommen hatten, wie der Polizeichef der türkischen Metropole, Selami Altinok, mitteilte. Der Staatsanwalt wurde lebensgefährlich verletzt und starb am Abend im Krankenhaus.

Verhandlungen gescheitert

Stundenlange Verhandlungen zwischen Geiselnehmern und Behörden waren zuvor gescheitert. Die beiden Mitglieder der linksextremistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hatten Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz zu Mittag im Justizpalast im europäischen Teil Istanbuls in ihre Gewalt gebracht.

Kiraz ermittelte wegen des Todes von Berkin Elvan, einem Buben, der 2013 bei den Gezi-Unruhen von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen wurde und nach monatelangem Koma starb. Kritiker werfen der Justiz seit langem vor, die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für Elvans Tod zu verschleppen.

Polizeichef Altinok erklärte, es sei über Stunden alles versucht worden, um die Geiselnahme unblutig zu beenden. Die Polizei habe sich zur Stürmung entschlossen, nachdem aus dem Zimmer der Geiselnehmer Schüsse zu hören gewesen seien.

Vergeblicher Appell des Vaters

Elvans Vater hatte vergeblich an die Geiselnehmer appelliert, den Staatsanwalt freizulassen. Die Täter forderten, die Behörden sollten die Namen jener Polizisten veröffentlichen, die als Verantwortliche für den Tod von Berkin Elvan in Frage kommen. Andernfalls werde der Staatsanwalt erschossen. Auf der Facebook-Seite der DHKP-C war zu sehen, wie dem geknebelten Staatsanwalt eine Pistole an den Kopf gehalten wurde.

Wie der Staatsanwalt lebensbedrohlich verletzt wurde, blieb zunächst unklar. Der ins Krankenhaus eingelieferte Staatsanwalt konnte nicht gerettet werden, wie die behandelnden Ärzte im türkischen Fernsehen mitteilten. "Er war schwer verletzt, als er eintraf, wir haben ihn trotz unserer Bemühungen verloren", sagten sie. "Er atmete nicht mehr und sein Herz schlug nicht mehr." Der Staatsanwalt war den Ärzten zufolge von Kugeln im Kopf und in der Brust getroffen worden.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte laut der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi, die Täter hätten sich als Anwälte ausgegeben und sich so Zutritt zu dem Justizgebäude verschafft. Der Staatsanwalt sei von drei Kugeln im Kopf und zwei Kugeln im Körper getroffen worden.

Angriff auf Justiz und Demokratie

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte nach Angaben von Anadolu Ajansi, für die Regierung sei die Geiselnahme auch ein Angriff auf die türkische Justiz und Demokratie. Die Täter seien inzwischen identifiziert worden. Sie seien 24 und 28 Jahre alt gewesen.

Die Rundfunkbehörde RTÜK verhängte am Dienstag auf Veranlassung der Regierung eine Sperre für die Fernsehberichterstattung über die Geiselnahme. Als Grund wurde die nationale Sicherheit genannt.

Die DHKP-C hatte im Jänner die Verantwortung für einen Anschlag in Istanbul übernommen, mit dem angeblich der Tod von Berkin Elvan gerächt werden sollte. Die DHKP-C steht in der Türkei, in der EU und in den USA auf der Terrorliste. Die Gruppe hatte sich im Februar 2013 zu einem Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Ankara bekannt. Damals riss der Attentäter einen Wachmann mit in den Tod.