Mit Zeremonien in Auschwitz,  Berlin, Wien und anderen Städten ist am Dienstag der Befreiung des früheren NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers vor 70 Jahren gedacht worden. Bei der großen internationalen Gedenkfeier im einstigen Vernichtungslager erinnerte Polens Präsident Bronislaw Komorowski an die Gräuel und wandte sich zugleich an Russland, dessen Staatschef Wladimir Putin fernblieb.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) erklärte, der Gedenktag mahne aufs Neue "wachsam zu bleiben und autoritären Tendenzen entschlossen entgegen zu treten." Gerade in Zeiten der Krise bestehe die erhöhte Gefahr, dass Ressentiments gegen Minderheiten, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus auf fruchtbaren Boden fallen so der Bundeskanzler laut einer Aussendung seines Büros.

"Keine deutsche Identität ohne Auschwitz"

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck mahnte im Deutschen Bundestag, es gebe "keine deutsche Identität ohne Auschwitz".

Im ehemaligen Lager Auschwitz-Birkenau waren in den Jahren 1940 bis 1945 etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet worden, die meisten von ihnen Juden. Sowjetische Soldaten befreiten das Lager am 27. Jänner 1945. Am Dienstag legten Überlebende bereits in der Früh vor der sogenannten Todeswand im Stammlager, an der im Zweiten Weltkrieg tausende Menschen erschossen worden waren, Blumen nieder und entzündeten Kerzen.

Die zentrale Gedenkfeier unter Leitung Komorowskis fand am Nachmittag im Beisein etwa 300 hochbetagter Überlebender und vieler Staatsgäste statt, unter ihnen Gauck, sein österreichischer Kollege Heinz Fischer sowie die Präsidenten Frankreichs und der Ukraine, Francois Hollande und Petro Poroschenko. Putin lehnte eine Teilnahme inmitten der Ukraine-Krise ab. Die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen sind äußerst angespannt.

Komorowski sagte, die Rote Armee verdiene "Respekt und Anerkennung" für die Befreiung von Auschwitz. Zugleich zog er eine Parallele zwischen "zwei totalitären Systemen" der Nazis und des Sowjetdiktators Josef Stalin, der im Zweiten Weltkrieg etwa 22.000 polnische Offiziere hatte hinrichten lassen - unter anderem im Wald von Katyn nahe Smolensk.

Haben Ukrainer Auschwitz befreit?

Polen zählt im Ukraine-Konflikt zu den schärfsten Kritikern Putins. In der vergangenen Woche sorgte Außenminister Grzegorz Schetyna für zusätzlichen Wirbel, als er erklärte, dass Auschwitz von "Ukrainern" befreit worden sei. Das russische Außenministerium warf Polen daraufhin "antirussische Hysterie" und eine "Verhöhnung der Geschichte" vor.

Am Dienstag warnte nun Putin bei einer eigenen Zeremonie in Moskau vor Geschichtsklitterung. "Jegliche Versuche, die Ereignisse zu vertuschen und zu verzerren sowie die Geschichte umzuschreiben, sind inakzeptabel und unmoralisch", sagte er in einem jüdischen Museum, wo er eine Gedenkfeier leitete.

Auch eine Teilnahme an Feierlichkeiten in Tschechiens Hauptstadt Prag und im früheren NS-Konzentrationslager Theresienstadt hatte Putin abgesagt - obwohl der Moskau-freundliche Staatschef Milos Zeman ihn eingeladen hatte. Die Vereinigung Jüdischer Gemeinden in Tschechien protestierte jedoch gegen eine Anwesenheit Putins.

Gauck mahnte in der Früh im Bundestag in Berlin, die Erinnerung an den Holocaust bleibe eine Sache aller Bürger, die in Deutschland lebten. Der Name Auschwitz sei zum Symbol für den Holocaust geworden. Alle, die Deutschland als ihr Zuhause betrachteten, "tragen Verantwortung dafür, welchen Weg unser Land gehen wird", sagte Gauck.

Hollande nennt Antisemitismus eine "Plage"

Hollande verurteilte am Dienstag am Shoah-Mahnmal in Paris jeglichen Antisemitismus als "Plage". Er versprach zugleich, dass sein Land die etwa 76.000 deportierten französischen Juden nie vergessen werde. Laut Umfragen erwägen angesichts der Zunahme judenfeindlicher Angriffe viele der etwa 600.000 Juden in Frankreich inzwischen, das Land zu verlassen.

US-Präsident Barack Obama warnte vor wachsendem Antisemitismus. "Die jüngsten Terroranschläge in Paris dienen als schmerzvolle Erinnerung an unsere Pflicht, den zunehmenden Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen", erklärte er in Washington. Die Anschläge Anfang Jänner waren auch gegen einen jüdischen Supermarkt gerichtet.

Orban gibt Mittäterschaft von Ungarn zu

In Ungarn erkannte Regierungschef Viktor Orban eine Mittäterschaft beim Holocaust erstmals an. "Sehr viele Ungarn" hätten sich "zum schlechten Handeln entschlossen statt zum guten", sagte er am Montag in Budapest. Etwa 600.000 ungarische Juden waren Opfer des Holocausts geworden. Die meisten wurden mithilfe von Ungarns Polizei nach Auschwitz deportiert.