Zuvor hatte Separatistenführer Alexander Sachartschenko die Offensive auf die Hafenstadt verkündet. Zum Raketenangriff äußerte sich Sachartschenko erst Stunden später. Dabei bestritt er eine Verantwortung für den Angriff und sagte, die Offensive habe noch nicht begonnen. Seine Streitkräfte sparten sich noch "ihre Kraft" und hätten noch "keine aktiven Operationen in Mariupol vorgenommen". Eine mögliche Einnahme der strategisch wichtigen Hafenstadt nannte Sachartschenko "den bestmöglichen Tribut für all unsere Toten".

Bei dem Raketenangriff wurden nach Angaben der Kiew-treuen Stadtbehörden von Mariupol mindestens 30 Menschen getötet und 97 weitere verletzt. Demnach schlugen die Langstreckenraketen in einem dicht besiedelten Wohnviertel ein - einmal am frühen Morgen und dann noch einmal am frühen Nachmittag.

Nach Erkenntnissen der OSZE wurden die Raketen vom Typ Grad und vom Typ Uragan aber von Gebieten in der Ostukraine gestartet, die von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. Eine Untersuchung der Krater habe gezeigt, dass die Einschläge von Raketen stammten, die aus dem Osten und dem Nordosten von Mariupol abgefeuert worden seien, berichtete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am Samstagabend.

Die Geschoße seien in 400 Meter Entfernung von einer Straßensperre der ukrainischen Armee gelandet. Die OSZE verurteilte den "schändlichen" Raketenangriff auf das Wohngebiet, bei dem auch Frauen, Kinder und ältere Menschen getötet worden seien.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte Moskau, die jüngste Gewalteskalation werde "zu einer weiteren schweren Verschlechterung der Beziehungen zwischen der EU und Russland" führen. Sie rief die russische Regierung erneut auf, ihren Einfluss auf die Rebellen zu nutzen sowie jegliche Unterstützung für die prorussischen Kämpfer einzustellen.

Entsprechend äußerten sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, US-Außenminister John Kerry und Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Während eines Besuchs in Algier nannte Steinmeier die aktuelle Lage in der Ukraine "hochgefährlich". Er warf den Separatisten vor, die Friedensbemühungen zu unterlaufen und eine militärische Entscheidung anzustreben.

Nach Angaben aus EU-Kreisen könnten die EU-Außenminister kommende Woche wegen der Rebellenoffensive auf Mariupol über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beraten. Derzeit werde die Möglichkeit einer Sondersitzung geprüft, hieß es in Brüssel. Das aktuelle Vorsitzland Lettland verurteilte die neue Eskalation der Gewalt scharf und forderte ein außerordentliches Treffen der EU-Außenminister.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko setzte für Sonntag ein Treffen des nationalen Sicherheitsrats an. Kiew strebe eine friedliche Lösung an, angesichts der gegnerischen Offensive werde die ukrainische Armee aber "bis zum vollständigen Sieg" gegen die Rebellen kämpfen, sagte er. Regierungschef Arseni Jazenjuk forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates.

Die Ukraine, Russland und die prorussischen Rebellen hatten im September in Minsk einen Waffenstillstand vereinbart, der allerdings nie umgesetzt wurde. Zuletzt hatte es wieder besonders heftige Kämpfe gegeben. Am Donnerstag zogen sich die ukrainischen Truppen nach monatelangen Gefechten vom umkämpften Flughafen von Donezk zurück. Sachartschenko kündigte am Freitag ein Vorrücken seiner Kämpfer Richtung Westen an. Gespräche über eine Waffenruhe werde er vorerst nicht mehr führen.

Die Ukraine und der Westen werfen Russland vor, die Aufständischen mit Waffen und Truppen zu unterstützen. In dem seit neun Monaten anhaltenden Konflikt wurden nach Angaben der OSZE bereits 5000 Menschen getötet.

Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin erklärte am Samstag in Wien, gemeinsam mit Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), es gebe keine Alternative zum Minsker Abkommen. Der Friedensplan vom September sei nicht gescheitert, sondern nur noch nicht umgesetzt. "Es ist entscheidend, für die Umsetzung zu kämpfen", so Kurz.