Nicht eitel zu sein ist in der Spitzenpolitik eine seltene Eigenschaft. In der Liga der Alphatiere vom Schlage eines David Cameron oder Wladimir Putin setzen sich die stillen Größen wie Angela Merkel mit anderen Mitteln durch. Neben der deutschen Kanzlerin zählt besonders Herman Van Rompuy zu dieser seltenen Politikergattung, die ihr Geschäft mindestens so zielorientiert betreiben wie andere, aber ohne deren Getöse.

Erschwerend kam bei dem Belgier Van Rompuy hinzu, dass er als ständiger Ratsvorsitzender die EU durch die schwerste Zeit seit ihrem Bestehen führen musste. Der Mann mit dem geradezu zierlichen Auftreten trat den neu geschaffenen Posten am 1. Dezember 2009 an. Zur Erinnerung: In Österreich fand da gerade die Notverstaatlichung der Hypo Alpe Adria statt. In der ganzen EU sind in der Folge sieben Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen.

Alphatiere zähmen

Und erschwerend ist Van Rompuys Job im Allgemeinen, er wird es auch für seinen Nachfolger sein, den Polen Donald Tusk. Nicht nur, weil der Vorsitz in den EU-Gipfeln der Staats- und Regierungschefs an sich schon eine Herausforderung ist. Diese Alphatiere zu zähmen und zu gemeinsamem Handeln zu bringen, ist eine delikate Angelegenheit, die Van Rompuy durchaus meisterlich beherrscht. Diese oft bewiesene und genauso oft kritisierte Kunst des Verhandelns und des Kompromisses hat Van Rompuy in der belgischen Politik gelernt, wo die Animositäten zwischen Französisch sprechenden Wallonen und niederländisch sprechenden Flamen mitunter die nationale Einheit gefährden.

Speziell in den letzten Monaten mit dem Konflikt um die Ukraine war sein Fingerspitzengefühl zwischen den Tauben und Falken in der EU gefragt. In der heiklen Frage, wie mit Russland umzugehen sei, gibt es zwischen den Putin-Verstehern und den von einstigen Kalten Krieg Gebrandmarkten beträchtliche Auffassungsunterschiede. Während sich die einen um billiges russisches Erdgas für ihre Bürger und Wähler sorgen, bangen etwa die baltischen Staaten um nicht weniger als ihre Unabhängigkeit. Van Rompuy hinterlässt seinem Nachfolger ein schweres Erbe echter Staatskunst.

Ein Glücksfall für die EU

Es war deshalb eine glückliche Fügung, dass Herman Van Rompuy der erste ständige Ratsvorsitzende war, nachdem die Führung des Rates der EU-Mitgliedsländer durch halbjährliche Rotation unübersichtlich geworden war und der Vertrag von Lissabon diese neue Funktion geschaffen hatte. Jetzt führt zwar weiter alle sechs Monate ein anderes Land den Vorsitz in den Ministerräten und nimmt Einfluss auf viele EU-Agenden, aber Van Rompuy als ständiger „Präsident des Europäischen Rates“ ist ein ruhiger Fels in zuweilen tosender Brandung. Das hat sich besonders gezeigt, als so problematischen Ländern wie Zypern und Griechenland turnusmäßig der EU-Vorsitz zugefallen war.

Der Ratsvorsitzende ist nach außen gewissermaßen auch das „Staatsoberhaupt“ der EU. Papst Franziskus, Barack Obama oder Wladimir Putin, das ist die Liga, in welcher der belgische Christdemokrat spielte. Zusammen mit anderen Treffen auf höchster Politikerebene wird Van Rompuy in fünf Jahren an schätzungsweise 70 sogenannten Gipfeln teilgenommen haben.

Meist trat er im Duo mit dem Portugiesen Jose Manuel Barroso auf, dem Präsidenten der Kommission, der Exekutive der EU. Dessen Liga ist die der Regierungschefs. Als Vorsitzender des Rates der Mitgliedsländer unterscheidet Van Rompuy noch etwas Wesentliches von diesem: Die Staaten besorgen das Geld, welches die EU-Institutionen ausgeben. Diese Macht der Regierungen, die er koordiniert, macht er den Kollegen in den anderen Institutionen deutlich, er spielt sie aber nicht aus. Dass gilt auch für den Umgang mit der dritten wichtigen EU-Einrichtung, dem Europäischen Parlament. Der Demokrat Van Rompuy hat mit den 751 direkt gewählten Abgeordneten kein Problem. Höchstens manchmal atmosphärisch mit dem polternden Parlamentspräsidenten Martin Schulz.