Ungeachtet internationaler Proteste treiben das syrische Regime und der Verbündete Russland ihre Militäroffensive im Kampf um die Millionenstadt Aleppo voran. Die Luftangriffe hätten sich am Sonntag auf mehrere Dörfer entlang der Straße zur türkischen Grenze konzentriert, berichtete die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Der Belagerungsring um die Rebellengebiete in der einst größten Stadt Syriens zieht sich damit immer enger. Zehntausende Flüchtlinge aus Aleppo sind inzwischen an der Grenze zur Türkei gestrandet. Türkische Helfer errichten dort auf der syrischen Seite ein neues Lager und versorgen die Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten. Die EU drängt die Türkei dagegen, die Flüchtlinge ins Land zu lassen.

Syrische Regierungstruppen sind bei ihrer Offensive laut Aktivisten auf eine 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernte Rebellenhochburg vorgestoßen. Die Soldaten seien - unterstützt von russischen Luftangriffen - am Sonntag bis auf sieben Kilometer auf die Stadt Tal Rifaat vorgerückt, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien.

Belagerungsring beinahe geschlossen

Vermutlich russische Kriegsflugzeuge hätten Ziele um die Dörfer Bashkoy, Haritan und Kfr Hamra nördlich von Aleppo getroffen, erklärte die oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Hilfsorganisationen warnen seit Tagen, dass das seit Jahren umkämpfte Aleppo kurz vor dem Fall an die Regierungstruppen stehe. Der Belagerungsring um die Rebellengebiete der Stadt, in denen etwa 350.000 Menschen leben, ist beinahe geschlossen. Die Aufständischen würden durch eine vollständige Einkesselung ihre letzte Versorgungsroute in Richtung Norden verlieren. In den Vierteln, die von der Regierung kontrolliert werden, wohnen mehr als eine Million Menschen.

Mit Lastwagen und Ambulanzen brachten türkische Helfer am Sonntag Lebensmittel und Medikamente über die syrische Grenze, um Zehntausende Flüchtlinge aus Aleppo zu versorgen. Unmittelbar hinter der Grenze bauten türkische Hilfsorganisationen neue Unterkünfte auf. "Wir verstärken unsere Anstrengungen in Syrien, um die Menschen unterzubringen, ihnen mit Lebensmitteln zu helfen und sie medizinisch zu versorgen", sagte ein Mitarbeiter der türkischen Hilfsorganisation IHH der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir errichten gerade ein weiteres Lager."

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte die Türkei bei einem Außenministertreffen am Samstag in Amsterdam auf, ihre Grenze für die Flüchtlinge zu öffnen. Der türkische Präsident Tayyip Recep Erdogan reagierte darauf abwartend. "Wenn sie an unsere Tür kommen und keine andere Wahl haben und es nötig werden sollte, werden wir diese Brüder einlassen - wir müssen das tun", zitierte ihn die Zeitung "Hürriyet". Die Türkei hat in den vergangenen Jahren 2,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen, mehr als jedes andere Land.

Russisches Bombardement als Bedrohung

Das russische Bombardement nahe der türkischen Grenze wertete Erdogan als Bedrohung. "In einigen Teilen von Aleppo hat das Regime von (Präsident Bashar al-)Assad den Nord-Süd-Korridor abgeschnitten", zitierte "Hürriyet" den Präsidenten weiter. "Die Türkei wird bedroht." Die türkische Armee habe die volle Befugnis, jeglicher Bedrohung der nationalen Sicherheit zu begegnen. Die Regierung in Ankara fordert seit langem die Absetzung von Assad. In türkischen Regierungskreisen hieß in der Vergangenheit allerdings, die Türkei habe nicht die Absicht, in Syrien einzumarschieren.

Die neue Flüchtlingswelle wurde durch die russische Luftoffensive gegen die Millionenstadt Aleppo ausgelöst, die den syrischen Bodentruppen den Vormarsch ermöglichte und zugleich die Friedensverhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition in Genf torpedierte. Die UNO unterbrach die Gespräche deshalb bis Ende Februar. Kritiker werfen Russland vor, der syrischen Regierung mit der Offensive zu einer besseren Verhandlungsposition verhelfen zu wollen.

Militärisches Taktieren

Am Donnerstag wollen die Außenminister der Staaten, die im Herbst in Wien die Grundlage für die Gespräche gelegt hatten, in München zu Beratungen über das weitere Vorgehen zusammenkommen. Zu ihnen zählt auch Russland. Er erwarte von allen Seiten, dass die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen in Genf geschaffen würden, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Das verlangt, dass der gesamte Prozess nicht kurzfristigem, militärischen Taktieren geopfert wird", erklärte er und nannte in diesem Zusammenhang Russland und den Iran.

Bodentruppen unter US-Führung

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich unterdessen für einen Einsatz von Bodentruppen in Syrien unter US-Führung ausgesprochen. Eine "ernsthafte Kampagne" gegen die den IS müsse militärische Einsatzkräfte am Boden umfassen, sagte der Außen-Staatsminister der Emirate, Anwar Gargash, am Sonntag in Abu Dhabi. Dabei sei eine "Führungsrolle" der USA "selbstverständlich die Grundbedingung".

Am Donnerstag hatte die saudi-arabische Regierung ihre Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen für den Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien bekundet. US-Präsident Barack Obama hat die Entsendung eigener Bodentruppen in das Bürgerkriegsland allerdings bisher stets ausgeschlossen.

Zu der Anti-IS-Koalition unter Führung der USA zählen 65 Länder. US-Verteidigungsminister Ashton Carter zeigte sich in der Vergangenheit mehrfach enttäuscht über die mangelnde Bereitschaft zur Ausweitung des militärischen Engagements gegen den IS. In der kommenden Woche sind in Brüssel Treffen Carters mit Vertretern aus Saudi-Arabien und anderen Ländern der Anti-IS-Koalition geplant.