Erstmals seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 sind die Staatschefs von China und Taiwan zu einem direkten Gespräch zusammengekommen. Das als historisch gewertete Treffen zwischen Xi Jinping und Ma Ying-jeou am Samstag in Singapur begann mit einem langen Händedruck.

"Keine Kraft kann uns auseinanderziehen. Wir sind eine Familie", sagte Xi zu Ma. Der erwiderte: "Beide Seiten sollten die Werte und die Lebensweise des anderen respektieren."

"Obwohl dies das erste Treffen ist, fühlen wir uns wie alte Freunde", so Ma weiter. "Jetzt liegen vor uns die Früchte der Versöhnung statt der Konfrontation." Nach einem Gruß an die vielen Journalisten in dem Saal eines Luxushotels zogen sich die Staatschefs zu ihrem Gespräch zurück.

Schon zuvor hatten China und Taiwan klargestellt, dass bei dem Treffen keine Vereinbarungen unterzeichnet werden sollten. Auch eine gemeinsame Erklärung im Anschluss an das Treffen, auf dem keine Nationalflaggen zu sehen waren, gab es nicht. Doch die der chinesischen Führung nahe stehende Zeitung "Global Times" schrieb in ihrem Leitartikel von einem "historischen Fortschritt", der "neue Räume" für die beiderseitigen Beziehungen mit sich bringen könne.

Das Treffen sei "ein neues Kapitel" in den Beziehungen der beiden Länder, sagte Allen Carlson, Politikprofessor an der US-amerikanischen Cornell Universität. Zu vergleichen sei die Begegnung der beiden Führer mit dem ersten Besuch von US-Präsident Richard Nixon in China 1972 oder der jüngsten Annäherung zwischen den USA und Kuba.

Während einer Pressekonferenz nach der rund einstündigen Begegnung sagte Ma, er habe eine Hotline zwischen den beiden Seiten vorgeschlagen, und Xi habe positiv darauf reagiert. Ma brachte nach eigenen Angaben auch die Bedrohung Taiwans durch Raketen der Volksrepublik zur Sprache. Xi überließ die Unterrichtung der Presse einem niedrigrangigeren Politiker.

Das zuvor letzte derartige Treffen fand 1945 statt, als der spätere Gründer der Volksrepublik China, Mao Zedong (Mao Tse-tung) von der Kommunistischen Partei Chinas, mit seinem Kontrahenten, Tschiang Kai-Schek (Chiang Kai-shek) von den Kuomintang-Nationalisten, ergebnislos über eine Versöhnung verhandelte. Nach der Niederlage gegen die Kommunisten flohen die Kuomintang-Kämpfer auf die Insel Taiwan, wo Tschiang Ende 1949 eine eigene Regierung ausrief.

Die Volksrepublik China betrachtet das dem Festland vorgelagerte Taiwan seit 1949 als abtrünnige Provinz und strebt eine Wiedervereinigung zu ihren Bedingungen an. 1992 fanden Peking und Taipeh einen Konsens: Demzufolge akzeptieren beide Seiten, dass es nur "ein China" gibt. Eine formelle Anerkennung der gegenseitigen Legitimität gibt es aber weiter nicht.

Allerdings verbesserten sich die seit sechs Jahrzehnten angespannten Beziehungen seit Mas Wahl zum Präsidenten im Jahr 2008 deutlich. Mehr als 20 Handelsabkommen wurden geschlossen, schließlich wurde das Gipfeltreffen vereinbart. Der 2012 im Amt bestätigte Ma gehört der Kuomintang-Partei (KMT) an und verfolgt einen China-freundlichen Kurs. Bei der Präsidentschaftswahl im Jänner, zu der Ma nicht erneut antritt, wird mit einer Niederlage der Kuomintang gerechnet.

Laut Umfragen muss sich der KMT-Kandidat Eric Chu auf eine Schlappe einstellen. Favoritin ist dagegen Tsai Ing-wen, die Kandidatin der als Peking-kritisch geltenden Fortschrittspartei DPP. Auch Tsai Ing-wen schloss zwar in dieser Woche im Falle eines Wahlerfolgs ein Treffen mit Xi nicht mehr kategorisch aus. Beobachter halten dennoch eine deutliche Abkühlung der Beziehungen für wahrscheinlich, sollte die DPP kommendes Jahr die Regierung übernehmen.

Das Treffen am Samstag wurde von Protesten begleitet. Wütende Gegner einer Annäherung Taiwans an China versuchten in der Nacht auf Samstag das Parlament in Taipeh zu stürmen. Die rund 100 Demonstranten wurden von der Polizei gestoppt. Ein Dutzend von ihnen trat in einen Sitzstreik.

Auch am Flughafen Songshan in Taipeh, wo Ma vor seinem Abflug eine kurze Erklärung abgab, kam es zu Protesten. Demonstranten verbrannten Bilder der beiden Staatschefs und bezeichneten Xi als "Diktator" und Ma als "Verräter". Nach Polizeiangaben wurden am Flughafen 27 Menschen festgenommen. Unter ihnen war auch der Studentenführer Chen Wei-ting. Später demonstrierten etwa 500 Menschen vor Mas Amtssitz in Taipeh gegen dessen Treffen mit Xi.

Taiwan verlor seinen Sitz bei den Vereinten Nationen im Jahr 1971 zugunsten der Volksrepublik China. Nur 22 Staaten erkennen Taiwan offiziell an.