Nähe fördert nicht den Respekt, und „Du Idiot!“ sagt sich leichter als „Sie Idiot!“ Dass der slowenische Richter am Schiedsgerichtshof in Den Haag sich, obwohl zum Schweigen verpflichtet, munter mit seiner Regierung in Laibach ausgetauscht hat, kann Dimitrij Rupel, dem Urgestein der slowenischen Politik, nicht die geringste Spur von Beschämung entlocken. „Das machen die Kroaten ja auch!“ knurrte der alte Seebär. „Die lassen sich nur nicht erwischen.“

Wieder einmal herrscht zwischen den Nachbarn besonders dicke Luft. Letzte Woche hatte die Zagreber Zeitung „Vecernji list“ die Mitschrift eines abgehörten Telefongesprächs zwischen dem slowenischen Richter am Schiedsgerichtshof und einer Abteilungsleiterin seines Außenministeriums veröffentlicht. Darauf erklärte der kroatische Premier Zoran Milanovi(´c), das Verfahren sei vergiftet, Kroatien steige aus. Was hinter dem Schritt steht, war in Laibach sofort allen klar: Zagreb will nicht verlieren – schon gar nicht im Dezember, wenn der offizielle Haager Schiedsspruch ansteht. Dann nämlich ist der Wahlkampf in Kroatien in der heißesten Phase.

Historische Altlast

Zankapfel zwischen den beiden ex-jugoslawischen Republiken ist der Grenzverlauf in der Bucht vor Piran, umstritten schon seit der Unabhängigkeit 1991. Nach den Regeln des Seerechts findet man in Meeresbuchten die Grenze so , dass man zwischen beiden Kaps eine Linie zieht und diese halbiert. Wendet man das Verfahren auf die Bucht vor dem idyllischen Adria-Städtchen Piran an, hat die Republik Slowenien keinen eigenen Zugang zu internationalen Gewässern. Immer wenn Schiffe den Hafen Koper anlaufen oder verlassen, müssen sie durch kroatisches oder italienisches Hoheitsgebiet. Slowenien dagegen beruft sich in der Grenzfrage auf „besondere Umstände“ und historische Gegebenheiten und präsentiert sich vor dem Schiedsgericht als „geografisch benachteiligtes“ Land.

Man könnte es einen Sturm im Wasserglas nennen. Denn es geht tatsächlich nur um Wasser, wenn auch um mehrere Millionen Kubikmeter: Selbst wenn es wollte, könnte Kroatien slowenischen Schiffen die Zufahrt nach Koper gar nicht verwehren, ohne gegen internationales Recht zu verstoßen. Beide Länder sind in der EU; es herrscht freier Waren- und Personenverkehr. Warum Slowenien seinen Anspruch trotzdem so verbissen vertritt, wird in Zagreb nicht verstanden.
Dabei könnten die Kroaten sich großzügig zeigen, ohne etwas zu verlieren. Der schmale Seekorridor, den der Nachbar reklamiert, ist für Kroatien mit seiner langen Adriaküste ohne Bedeutung. Zagrebs Unnachgiebigkeit ist allerdings verständlich, denn die Regierung in Laibach hat dem Nachbarn übel mitgespielt: Erst blockierte Slowenien mit seinem Vetorecht Kroatiens Nato- und dann ein Jahr lang auch dessen EU-Beitritt. Erst unter solcher Erpressung hatte sich 2011 die damalige kroatische Regierungschefin Jadranka Kosor darauf eingelassen, sich auf Gnade und Ungnade einem internationalen Ad-hoc-Gerichtshof zu unterwerfen und dessen Votum bedingungslos zu akzeptieren. Erst da war der Weg Kroatiens in die Europäische Union frei.

Kein Ausstieg möglich

„Aussteigen“ aus dem Schiedsverfahren, wie Kosors Nachfolger Zoran Milanovi(´c) es jetzt möchte, kann Kroatien nicht; das haben die Schiedsrichter in Den Haag, neben den Vertretern der beiden Streitparteien ein Franzose, ein Brite und ein Deutscher, schon klargestellt. Dass der Vertreter Sloweniens bei Gericht falsch spielte, ist für einen Ausstieg Kroatiens kein triftiger Grund. Gleich nach Bekanntwerden der Affäre hat Sloweniens Regierungschef Miro Cerar den ungetreuen Richter zum Rücktritt genötigt und gestern einen neuen ernannt. Das Schiedsgericht ist damit wieder frei, zu entscheiden, wie immer es will.
Seit seinem Beginn ist der Grenzstreit mit beidseitigen Ressentiments belastet – vor allem mit Neid und mit Minderwertigkeitskomplexen. Zwar hatten beide Nationen, als sie sich 1991 von Jugoslawien lösten, in Belgrad den gleichen Gegner. Die Slowenen waren aber nicht glücklich darüber, dass Kroatien sich an ihre Unabhängigkeitsbestrebungen anhängte, eine Haltung, die in Zagreb als unsolidarisch empfunden wurde. Besondere Wut löste aus, dass Slowenien nach Jugoslawiens Zerfall einfach die Spareinlagen aller kroatischen Bürger bei der Ljubljanska banka einkassierte. Umgekehrt ärgerte die Slowenen, dass Kroatien in die istrischen Wochenendhäuser slowenischer Eigentümer bevorzugt Flüchtlinge einquartierte.

Alte Ressentiments

Zwar haben beide Nationen nie Krieg gegeneinander geführt, aber ihre Rivalität geht tief zurück in die jugoslawische und sogar in die österreichisch-ungarische Geschichte. Schon im königlichen Jugoslawien der Zwischenkriegszeit, dann aber auch unter Tito waren die Slowenen die jugoslawischeren von beiden und wurden von Belgrad dafür emotional belohnt, während die Kroaten stets als unsichere Kantonisten galten.

Dass Slowenien weiter entwickelt, reicher und westlicher ist als Kroatien, wird von nationalistischen Kroaten nicht anerkannt: Für die „historische Nation“ mit eigenem Adel, eigenen Rechten und eigenem Bürgertum waren und blieben die slowenischen Nachbarn ein ungebildetes Bauernvolk aus Emporkömmlingen. Der slowenische Schriftsteller Drago Jan(c)ar revanchierte sich für den kroatischen Dünkel mit dem giftigen Spruch, Zagreb habe „den Kopf fest nach Westen gerichtet“ und stehe „mit beiden Beinen tief im Balkan“. Als die Grenzverhandlungen zwischen beiden Regierungen zeitweise in einem Schloss zwischen beiden Hauptstädten geführt wurde, spotteten die Slowenen, aus Laibach seien „vier Minister mit einem Auto“ angereist, aus Zagreb „ein Minister mit vier Autos“.

NORBERT MAPPES-NIEDIEK