Sie haben am Dienstag an einer Diskussion teilgenommen zum Thema: 100 Jahre Bruno Kreisky - Mythos und Wirklichkeit. Wird Kreisky total verklärt?

JOSEF TAUS: Na ja. Die Sozialdemokratie feiert den sicher erfolgreichsten Politiker der Zweiten Republik, den sie gehabt hat.

Was meinen Sie mit Erfolg?

TAUS: Das ist in der Demokratie sehr einfach. Kreisky hat fünf Nationalratswahlen gewonnen, davon drei mit absoluter Mehrheit und war 13 Jahre Kanzler, das hat sonst keiner geschafft.

Spüren Sie Sympathie für die aktuellen Kreisky-Festspiele?

TAUS: Ich akzeptiere, dass er ein ungeheuer erfolgreicher Politiker, ein wirklich gebildeter und sehr intelligenter Mensch war, der mit Leuten gut umgehen konnte und die Begabung hatte, die Medien für seine Sache zu beeinflussen, wie dies vor und nach ihm keiner konnte.

Anlass für die vielen Kreisky- Feiern ist, dass er nächste Woche 100 Jahre alt geworden wäre. Die ÖVP hatte auch einen Kanzler - Josef Klaus -, der im Vorjahr so alt geworden wäre. Warum wurde er nicht auch groß gefeiert?

TAUS: Das war leider sehr bescheiden am 15. August, nur im letzten Moment und dann gab's allerhand Geschichten, was alles nicht gehe. Was die SPÖ jetzt mit Kreisky macht, ist ein bissel viel. Aber dass man einen Mann wie Klaus, der so viel bewegt hat, halb vergisst, ist Schuld der Partei.

Warum kurbelt die SPÖ die Kreisky-Debatte so eifrig an?

TAUS: Vielleicht eröffnet sie jetzt schon den Wahlkampf.

1975 gab es diese berühmte TV-Wahldebatte zwischen Kreisky und Ihnen, bei der er Sie ermahnte, ihn nicht zu schulmeistern und nicht so "gouvernantenhaft" zu sein. Damals seien Sie und die ÖVP, schrieb etwa der Stern, "mit Mann und Maus untergegangen".

TAUS: Es war ja eigentlich eine Dreier-Debatte. Auch FPÖ-Chef Friedrich Peter war dabei. Der war damals schon mit der SPÖ liiert. Was soll ich sagen? Ich will gar nichts abschieben, nichts entschuldigen. Ich bin damals eingesprungen, weil Karl Schleinzer Mitte Juli tödlich verunglückt war. Kurz darauf wurde ich ÖVP-Parteiobmann. Zwei Monate später haben wir gewählt.

Warum waren Sie Kreisky damals nicht gewachsen?

TAUS: Ich habe keinen Apparat, ja nicht einmal ein Sekretariat gehabt damals. Nix. Und Kreisky war gut vorbereitet. Er hatte geschickte Berater wie den Charly Blecha und einen ungeheuren Vorsprung bei den Medien. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hatte mich davor noch gewarnt, ich soll "nicht wahnsinnig sein", Kreisky sei ungeheuer populär, ich hätte keine Chance. Ich wollte ihm eh nur die absolute Mehrheit nehmen, dieses eine, lächerliche Prozent. Das ist aber gar nicht gelungen.

Sie wirkten damals im Fernsehen eher steif, professoral, Kreisky drückte sich simpel, flott aus.

TAUS: Ja, obwohl ich aus sogenannten kleinen Verhältnissen komme und Kreisky aus der Oberschicht, hat er einen sehr populären Diskussionsstil mit wenig Fremdworten gepflegt und plötzlich auch ganz langsam geredet. Das hatte er davor nie gemacht. Dann hat er Sätze wiederholt, zwei, drei Mal, und Formulierungen gewählt, die zum größten Teil nicht spontan waren. Schließlich hat er eine Broschüre in die Kamera gehalten, in der ich noch als Chef der Girozentrale Österreich lobte. Da sieht man: Man darf nie einen Generaldirektor zum Oppositionschef machen, weil er zunächst dies, dann das Gegenteil vertreten muss.

War Kreisky der erste Politiker, der Medien gezielt einspannte?

TAUS: Ich war zwar einmal, als 22-jähriger Journalist, Wirtschaftsredakteur bei der Wiener Zeitung. Aber Kreisky hat überall zu allen, auch zu den jüngsten Redakteuren, gute Kontakte gehabt. Er war da sehr geschickt. Und nicht zu vergessen: 1975 war er schon fast 20 Jahre lang routiniertes Regierungsmitglied.

Wie war Ihr persönliches Verhältnis hinter den Kulissen?

TAUS: Persönlich waren wir ganz gut. Kreisky hat viel gefragt und sich von mir viel erklären lassen. Vielleicht hat er mich auch öfter getäuscht, um den Eindruck zu vermitteln, er kenne sich da und dort nicht aus. Auf Qualität kommt es ja im Fernsehen leider nicht an. Dort entscheiden immer nur ein paar Sager.

In vielen Rückblenden wird Kreisky besonders für seine Außenpolitik gelobt. War das seine größte Leistung?

TAUS: Nein, er war innenpolitisch viel erfolgreicher. Er hat seine Partei sehr lang an der Macht gehalten. Außenpolitisch war damals die Welt eine ganz andere, viel einfacher. Die Siebzigerjahre waren in ganz Europa ein sozialistisches Jahrzehnt. Da gab es in Deutschland Willy Brandt, in Schweden Olaf Palme. Mit denen konnte es Kreisky intelligenzmäßig leicht aufnehmen, sagen wir es einmal so. Einen großen Einfluss hatte Österreich als kleines Land nie, auch wenn das jetzt oft ganz anders dargestellt wird.

Warum war die ÖVP gegen Kreisky damals so chancenlos?

TAUS: Wir haben den Fehler gemacht, fanatisch daran zu glauben, man dürfe nicht zu viele Schulden machen. Und dann diese Weinsteuer und auch das Autopickerl, da haben wir bis tief in die schwarzen Bauerndörfer viel verloren. Kreisky hat gewonnen, weil er etwas Einfaches machte, was immer wahlentscheidend ist: Wir vom ÖAAB haben uns erfolglos bemüht, dass man die gemeinsame Steuerveranlagung arbeitender Ehepaare trennt. Die SPÖ hat es dann gemacht und so gewonnen. Mir haben damals Mitarbeiterinnen der Girozentrale gesagt: Jetzt zahlt es sich erstmals aus, arbeiten zu gehen.

Was war innenpolitisch gesehen Kreisky größter Fehler?

TAUS: Seine Verstaatlichtenpolitik, zu glauben, dass man mit ihr wie bei der Voest Beschäftigungspolitik machen kann.

Hat Kreisky Österreich offener und moderner gemacht?

TAUS: Er hat ein paar Sachen gemacht, die viel gebracht haben. Er hat als erster Sozialdemokrat ein Verhältnis zur Kirche entwickelt. Das hat die ÖVP spät erkannt. Oder er hat die ewige Streitfrage mit den Habsburgern entschärft, konnte gut mit Aristokraten umgehen. Er hat die Partei geöffnet, tüchtige Leute geholt wie Hannes Androsch, Eugen Veselsky oder Josef Staribacher.

Wie haben Sie sich den späteren Konflikt Kreiskys mit Hannes Androsch erklärt?

TAUS: Das war, wie immer bei alternden Politikern, im Kern, auch wenn immer wieder andere Gründe vorgeschoben wurden, ein Nachfolgerkonflikt. Das ist auch Julius Raab passiert. Kreisky war auch schon länger krank. Nur Insider haben das gewusst. Androsch war als junger, charmanter, fescher Finanzminister sehr populär, der andere war alt.

Wie schneidet denn SPÖ-Chef, Bundeskanzler Werner Faymann, als ein Nachfolger Kreiskys ab?

TAUS: Das kann man nicht vergleichen. Nein, das wäre ungerecht. Faymann hat sich in der Partei hinaufgekämpft. Kreisky hat sicher eine gute humanistische Bildung gehabt und hat als früherer Emigrant die Welt gekannt. Dieser Typ stirbt ja aus. Die heutigen intellektuellen Politiker sind keine Universalisten mehr, das sind Technokraten. Der frühere ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hat von der Ausstrahlung und Intellektualität her quasi noch das Volumen eines Kreisky erreicht.

Wen wünschen Sie sich an der Spitze des Landes, Universalisten oder Technokraten?

TAUS: Universalisten. Die Zukunft ist aber eher technokratisch. Die Probleme von heute hatten wird früher nicht. Alles ist völlig multipolar geworden.

Ist der aktuelle Kreisky-Hype auch von Nostalgie getrieben?

TAUS: Das kann gut sein, dass die meisten denken, früher ist es halt viel gemütlicher gewesen. Jetzt wurden wir hineingerissen in diese große Geschichte. Unsere einzige Chance wird sein, eine starke Wirtschaft zu haben.

INTERVIEW:

WOLFGANG SIMONITSCH