Die Wunschnachfolgerin von Amtsinhaber Luiz Inacio Lula da Silva verpasste am Sonntag entgegen zahlreicher Prognosen einen Sieg in der ersten Runde. Die 62-jährige Ex-Guerillera muss sich nun Ende Oktober einer Stichwahl stellen, bei der sie allerdings als Favoritin gilt. "Wir sind Kämpfer und wir sind Herausforderungen gewohnt", rief Rousseff sichtlich enttäuscht ihren Anhängern in der Hauptstadt Brasilia zu. "Wir schlagen uns immer gut in zweiten Runden."

Rousseff kam auf 46,9 Prozent der gültigen Stimmen, wie die Wahlbehörde mitteilte. Der konservative Oppositionskandidat Jose Serra erhielt 32,6 Prozent. Unerwartet stark schnitt an dritter Stelle die ehemalige Umweltministerin und Grünen-Politikerin Marina Silva mit 19,3 Prozent ab. Damit treten in der Stichwahl Rousseff und Serra gegeneinander an, wobei Silva die Rolle der Königsmacherin übernehmen könnten. Silva erklärte, sie wolle zunächst mit ihrer Partei beraten, bevor sie eine Wahlempfehlung ausspreche.

Ziehvater Lula

Der in der Bevölkerung äußerst beliebte Staatschef Lula durfte nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten. Im Wahlkampf hatte Rousseff vor allem von der beispiellosen Popularität ihres politischen Ziehvaters profitiert: Der frühere Gewerkschaftsführer Lula hat in den vergangenen acht Jahren mit einer marktwirtschaftlich orientierten Politik Brasilien sagenhafte Wachstumsraten von zuletzt über acht Prozent beschert und Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen. Zudem hat Lula mit Sozialprogrammen 20 Millionen Bürger aus der Armut befreit und die Mittelschicht gestärkt.

Seine frühere Energieministerin und spätere Kabinettschefin Rousseff hat angekündigt, den gemäßigten Linkskurs fortzusetzen und die Rolle des Staates in Schlüsselbranchen wie dem Ölsektor zu stärken. Sollte sie die Stichwahl am 31. Oktober für sich entscheiden, wäre sie die erste Präsidentin des bevölkerungsreichsten Landes in Lateinamerika.

Den Umfragen zufolge war die Stimmung bei einigen Wählern erst im letzten Moment gegen Rousseff gekippt. Ausschlaggebend waren kürzlich erhobene Korruptionsvorwürfe, die sich auch gegen einen früheren Berater der Politikerin richteten. Außerdem fuhren evangelikale Christen eine Kampagne gegen Rousseff. Sie riefen dazu auf, keinen Kandidaten ihrer Arbeiterpartei zu wählen, denn diese billigten Homosexualität und seien für Abtreibung. Die Zahl der Evangelikalen, der besonders bibeltreuen Protestanten, wächst in dem überwiegend katholischen Land. Sie haben in großer Zahl für die Grünenpolitikerin Silva gestimmt, die selbst eine evangelikale Christin ist. Dies ging offenkundig auf Kosten Rousseffs.

Wesentliche Änderungen in der Politik werden weder von Rousseffs noch von Serra erwartet. Ihr konservativer Rivale versprach eine zentristische, wirtschaftsfreundliche Regierung. Aber auch er steht für eine starke Präsenz des Staates in Schlüsselbereichen der Wirtschaft.