Konrad Krajewski ist der Chef des vatikanischen Almosenbüros. Der Kurienerzbischof hat zehn Mitarbeiter, mit denen er abends oft durch Rom streift und Bedürftigen hilft. Neulich gab der Pole ein paar Journalisten Einblick in seine Arbeit, die unter Franziskus eine neue Bedeutung bekommen hat. Auf die Frage, ob der Papst ihn schon begleitet habe, wollte Krajewski nicht antworten.

Dann begannen die Spekulationen. Nimmt der Papst seine Mission so ernst, dass er nachts eigenhändig Almosen verteilt? Man könnte es sich gut vorstellen, bei allen symbolträchtigen Änderungen, die das Papsttum mit ihm erlebt. Blecherne statt goldener Brustkreuze, ein Papst, der selbst zum Telefon greift, halböffentliche Morgenmessen, Verzicht auf Limousinen.

Franziskus ist schon jetzt ein Mythos. Vor Tagen wählte das US-Magazin "Time" ihn zur "Person des Jahres". Es wirkt, als habe der Papst aus Argentinien die katholische Kirche in den ersten zehn Monaten seines Pontifikats bereits grundlegend verändert. Von einer "Revolution" ist die Rede. Doch verändert hat Franziskus bis jetzt vor allem die Stimmung. Katholiken wie Nichtkatholiken sind beglückt über den unkonventionellen Papst, der keine Angst vor Neuerungen zu haben scheint. Ein echter inhaltlicher Wandel lässt dagegen noch auf sich warten.

Ein Beispiel für Franziskus' Medienwirksamkeit war die Veröffentlichung seiner ersten eigenhändigen Lehrschrift "Evangelii Gaudium" Ende November. Die Schrift liest sich gut, sie ist kraftvoll und macht vielen Gläubigen Hoffnung. Aber die wenigen konkreten Änderungen wurden kaum registriert, etwa die angekündigte Lehrautorität für Bischofskonferenzen. Rezipiert wurden vor allem ein neuer Ton und die vagen Konturen eines vermeintlichen Umsturzes.

Niemand weiß, was Franziskus mit der Erneuerung der Kirche "auf allen Ebenen" meint. Auch die Art der Reform des Papstamtes, die schon Johannes Paul II. ankündigte, ist offen. Was nachklang, war der klassenkämpferische Ton des Papstes aus Südamerika. Westliche Ökonomen brandmarkten die Thesen daher als blauäugig.

Viel Lärm um nichts?

Macht Franziskus viel Lärm um nichts? Dass der Papst einen Wandel will, ist offensichtlich. Doch vieles weist nicht auf rasche Änderungen hin, sondern auf langwierige, mühsame Reformen. Dabei sind mehrere Faktoren entscheidend, darunter Alter und Gesundheit des Papstes - Franziskus ist gerade 77 Jahre alt geworden. Und die Kirche selbst.

Was bisher nach außen drang, sind Absichtserklärungen. Franziskus hat mehrere beratende Kommissionen zur Struktur der Kirchenverwaltung und der vatikanischen Finanzen eingesetzt. Entscheidungen stehen aus. Auch der an die Bischofskonferenzen versendete Fragebogen zur Familienseelsorge, in dem sich Gläubige zu heißen Eisen wie zu den wiederverheirateten Geschiedenen oder dem Adoptionsrecht für Homosexuelle äußern können, schürt bei vielen Hoffnungen auf eine liberale Wende.

Doch Enttäuschungen sind nicht ausgeschlossen. Aus dem Vatikan dringen Berichte, wonach hochrangige Kardinäle Franziskus zu denken geben, er würde Erwartungen schüren, die nie eingehalten werden können. Franziskus, so wird erzählt, reagiere auf die Kritik nicht verärgert, sondern völlig gelassen. Vielleicht weiß der Papst, dass es seine Aufgabe ist, lange nicht geführte Diskussionen anzustoßen, deren konkrete Ergebnisse erst in Jahrzehnten zu erkennen sein werden. Die 2000 Jahre alte katholische Kirche lässt sich nicht in wenigen Monaten verändern.

Unbestritten ist, dass der Papst mächtige Gegner hat. Es sind Vertreter konservativer Strömungen in der Kirche, auch wichtige Kurienangehörige. Nicht wenige lächeln über den argentinischen Papst, der so gutmütig wirkt, aber nach ihrem Geschmack zu oft über den eigenen Laden schimpft. Gelästert wird über den "pastoralen Eifer" des Papstes, als sei dieser charismatische Dorfprediger völlig fehl am Platz in Rom.

Zu den Kritikern wird oft der Erzbischof Gerhard Ludwig Müller gezählt, der von Benedikt XVI. zum Präfekten der mächtigen Glaubenskongregation berufen wurde. Vordergründig wirken Franziskus und der Deutsche wie Antipoden. Hier der fortschrittliche Umstürzler, dort der konservative Glaubenshüter. Doch es gibt Anzeichen, die auf eine Kooperation der beiden hindeuten. Klarster Hinweis ist, dass Franziskus Müller im September (als "Evangelii Gaudium" geschrieben war) als einen von nur drei Chefs der päpstlichen Ministerien bestätigte.

Es heißt, Müller habe sich öffentlich von Franziskus distanziert. Etwa mit einem Artikel im "L'Osservatore Romano", in dem er die Zulassung Geschiedener zur Kommunion weiter verbietet. Doch wird kolportiert, Müller sei vom Papst persönlich für den Artikel autorisiert worden, um die umstrittene Lehrmeinung deutlich festzuklopfen.

Wahr ist: Franziskus ist noch in keiner wichtigen Frage von der Doktrin abgewichen.

Dennoch sind tektonische Verschiebungen im Vatikan in Gang. Mit seinen offenen Worten hat der Papst eine Art katholisches Denklabor mit völlig offenem Ausgang angestoßen. Franziskus will die Diskussion. Er ist ein Papst der Seelsorge, der auf der Basis der Lehre neue Entwicklungen vor allem für die katholische Praxis anregen will. Dafür braucht der Papst Zeit und die richtigen Helfer, die er langsam um sich schart.

Der Ausgang dieses Experiments ist offen. In der Bischofssynode zur Familienseelsorge im nächsten Herbst wird es erste Anzeichen dafür geben, wie die Weltkirche auf die Diskussionsvorschläge des Papstes reagiert. Schlägt das Pendel zugunsten von Franziskus aus, kann es noch Jahrzehnte dauern. Viele Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 sind immer noch nicht Realität.