Einige tausend Bürger protestierten auf der Straße. Studenten besetzten für kurze Zeit die Zentrale der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten). Der Rechtsprofessor Laszlo Solyom, seinerzeit erster Präsident des Verfassungsgerichts und später mit Fidesz-Unterstützung gewählter Staatspräsident, warnte vor dem "Ende der Gewaltenteilung". EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, bedrückt von der Sorge um den Rechtsstaat in Ungarn, rief persönlich im Budapester Ministerpräsidentenamt an.

Schaden für die ungarische Demokratie

Allein, Viktor Orban, Ungarns rechtskonservativen Regierungschef, focht das nicht an. Die geölte Maschinerie seiner Fidesz-Fraktion winkte am Montag schwerwiegende Verfassungsänderungen durch, die, wie Experten meinen, die ungarische Demokratie nachhaltig beschädigen werden. Die Novelle schränkt die Befugnisse des Verfassungsgerichts massiv ein, entmachtet es praktisch. Sie ermöglicht es der Leiterin des Landesjustizamtes, bestimmte Fälle an bestimmte Gerichte zu verweisen. Tünde Hando, eine Vertraute Orbans, ist von diesem für neun Jahre in diese Position ernannt worden.

Die Grundgesetzänderungen heben mehrere Gesetze in den Verfassungsrang, die das Verfassungsgericht in den letzten Monaten für verfassungs- und grundrechtewidrig erkannt hatte, darunter etwa das Verbot von Wahlwerbung im privaten Rundfunk. Damit sind diese Bestimmungen dem Zugriff der Höchstrichter dauerhaft entzogen. Denn die Novelle besagt auch, dass das Verfassungsgericht Grundgesetzänderungen nicht mehr inhaltlich prüfen darf. In Budapest geht das Wort vom "schleichenden Verfassungsputsch" um.

Ungarns internationale Partner hatten im Vorfeld ihre Bedenken geäußert, einige leiser, einige lauter. Die EU-Kommission, der Europarat, das österreichische und US-amerikanische Außenministerium deponierten bei Orban ihre Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. An dem machtbewussten Politiker prallte das ab.

Ein paar Stunden vor dem Votum im Budapester Parlament sprach Orban zum Plenum. Die Verfassungsnovelle erwähnte er mit keinem Wort. Stattdessen zog er über die im ausländischen Besitz befindlichen Strom- und Gasdienstleister her. Diese seien "gierig" und "unersättlich" und würden Gewinne auf Kosten der armen ungarischen Bevölkerung scheffeln. Die Wahrheit ist aber vielmehr, dass seit Jahren niemand mehr in Ungarn Gewinne mit Strom und Gas macht. Und dass Orban mit hohen Sondersteuern die Dienstleister zusätzlich bluten lässt.

Orban sucht neue Konfrontation mit Brüssel

Orban weiß, dass er nun einen neuen Konflikt mit der EU riskiert. Er ist derlei bereits gewohnt. Als er 2011 ein repressives Mediengesetz schaffen ließ, gab es viel Aufregung und Entrüstung. Seine Machtansprüche auf die ungarische Notenbank und die von ihm betriebene Zwangsverrentung von erfahrenen Richtern zogen EU-Vertragsverletzungsverfahren nach sich. Doch Orban nutzte diese Konfrontationen mit Brüssel jedes Mal, um innenpolitisch zu punkten - als angeblicher Verteidiger der Interessen Ungarns gegenüber dem "neuen Moskau", als das seine Propagandisten die EU gerne darstellen.

Auch dieses Match mit der Kommission lässt populistische Verbal- Exzesse erwarten. Am 15. März, dem ungarischen Nationalfeiertag, werden nicht nur die Oppositionellen, sondern - wie schon im Vorjahr - die vom Fidesz mobilisierten Regierungsanhänger auf die Straße gehen. "Friedensmarsch" nennt sich deren Veranstaltung. Ihr Motto: "Wir werden keine Kolonie". Keine Kolonie der EU, meinen die Freunde einer Regierung, die über ein EU-Mitgliedsland herrscht.