H err Landeshauptmann, in vier Wochen wählt Italien. Wird es eine Schicksalswahl?

LUIS DURNWALDER: Italien ist ein krankes Land. Es muss wieder Vertrauen gewinnen in Europa und in der Welt. Die Leute müssen durch die Wahl zeigen, dass sie eingesehen haben, dass etwas geschehen muss, und dass sie bereit sind, die Medizin zu schlucken, damit das Land gesundet.

Woran krankt Italien?

DURNWALDER: Italien hat über seine Verhältnisse gelebt. Man kann auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Aber der Italiener ist da von Natur aus unbekümmert. Er sagt: "Alles nicht so tragisch, es wird schon weitergehen." Nur was heute gut geht, kann morgen schon in eine Katastrophe ausarten.

Gefährdet Italien den Euro?

DURNWALDER: Nein. Italien wird international sogar zu schlecht gehandelt. Es ist an sich kein kranker Staat. Es hat einen starken Norden, wo man weiß, dass gearbeitet werden muss. Aber es hat halt auch einen Süden mit seinem alten Krebsgeschwür, der Mafia. Die Leute vertrauen ihr noch immer mehr als dem Staat. Ihre Metastasen wuchern überall. Das führt dazu, dass nach wie vor Gelder vom Norden in den Süden transferiert werden müssen.

Wäre eine Wiederwahl Berlusconis eine Katastrophe?

DURNWALDER: Berlusconi hat das Ansehen Italiens im Ausland ruiniert. Die ganze Welt hat über ihn gelacht. Vor eineinhalb Jahren bin ich nach Nepal geflogen. Als der Zöllner meinen Pass gesehen hat, hat er gegrinst und "Bunga Bunga" gesagt. In Nepal! Berlusconis Wiederwahl würde bedeuten, dass Italien in den alten Trott zurückverfällt. Das Land muss wieder regiert werden.

Hat Ministerpräsident Mario Monti das nicht getan?

DURNWALDER: Monti ist kein Politiker. Er ist Professor und er war schlecht für Südtirol. Aber er hat auch Gutes bewirkt. Er hat die internationale Finanzwelt als Sanierer überzeugt. Und er hat sich getraut, den Italienern zu sagen, dass das Land sparen muss. Sein Versäumnis ist, dass er keine Programme für die Wirtschaft gemacht hat. Er hat zwar die Steuern erhöht, aber viele seiner Maßnahmen waren einseitig und unkoordiniert. Da wird es wohl Korrekturen brauchen.

Sie nehmen es Monti übel, dass er auf Südtirols Autonomie gepfiffen hat. Aber ist es nicht Roms gutes Recht, von seiner reichsten Provinz besondere Opfer zu fordern?

DURNWALDER: Wir haben unseren Wohlstand nicht gestohlen! Aber Monti ist das völlig egal. Obwohl wir auf Hunderte Millionen Euro verzichtet haben und bereit sind, noch mehr abzutreten, hat er die Auszahlung uns zustehender Gelder verweigert. "Zieht vor den Verfassungsgerichtshof", hat er gesagt. Das haben wir getan, und ich bin überzeugt, dass der Staat uns Hunderte Millionen zurückzahlen muss. Nur wie kriegen wir das Geld? Einem Nackten kannst du kein Hemd abziehen.

Ist die Autonomie in Gefahr?

DURNWALDER: Berlusconi war Südtirol herzlich wurscht. Wenn ich mit ihm zusammengehockt bin, hat er über die Weiberleut' geredet, das gute Essen und den Wein. "Faremo Luis! - Wir schaukeln das schon!", hat er gesagt. Und wir haben wirklich einiges gekriegt. Monti dagegen hat die Autonomie schleichend ausgehöhlt. Als uns der Kragen geplatzt ist und wir Wien informiert haben, hat er gesagt, das geht Österreich nichts an. Nur: Je weniger wir im eigenen Land entscheiden können, desto lauter wird der Ruf nach Selbstbestimmung und nach Rückkehr nach Österreich.

Was halten Sie von solchen Forderungen?

DURNWALDER: Das klingt alles sehr schön. Nur zwischen Traum und Wirklichkeit ist eine große Spanne. Angenommen, die Südtiroler wären in einem Referendum für die Selbstbestimmung, was ich bezweifle, ja glauben Sie, wir bekämen in der UNO jemals eine Mehrheit dafür, die Grenze vom Brenner nach Salurn zu legen?

Lässt sich das Rad der Geschichte überhaupt zurückdrehen?

DURNWALDER: Nein. Wir haben in Südtirol die Autonomie gut ausgebaut. Nirgendwo ist die Lebensqualität größer. Und wir leben in einem Europa, das die Grenzen abbaut. Sollte es eines Tages allerdings zu einer Neuordnung der Regionen in der EU kommen, würde Südtirol sicher nicht für die Lombardei optieren.

Sie reden gerne vom Vaterland Österreich. Aber spielt Österreich für Südtirol noch eine große Rolle?

DURNWALDER: Ich komme von einem Bergbauernhof. Wir waren zu Hause elf Kinder und sieben Stück Vieh. Ohne Hilfe aus Österreich hätten mein Bruder und ich nie studieren können. Wir waren Bettler und Schnorrer. Diese Zeiten sind vorbei. Südtirol braucht kein Geld mehr, es braucht moralische Unterstützung. Wir waren fast ein Jahrtausend beieinander. Meine Eltern sind für Österreich in den Krieg gezogen. Das ist Vaterland! Nach 1918 wurde Südtirol als Kriegsbeute zu Italien geschlagen. Wir sind von Österreich weggekommen, obwohl wir Österreicher waren und bis heute eine österreichische Minderheit sind. Daher haben wir ein Recht, dass Österreich uns schützt.

Als Sie sich in Wien über Monti beschwert haben, schien das der Bundesregierung fast peinlich zu sein. Hat Sie das enttäuscht?

DURNWALDER: Kanzler Faymann hat keine Zeit für uns gehabt. Er hat viel zu tun. Er war davor in Rom und ist von Monti mit Weihrauch eingenebelt worden. Man wollte die Probleme mit Schönrednerei abtun. Da haben wir gesagt: So nicht! Hätten uns der Bundespräsident und der Außenminister nicht so offen empfangen und in aller Deutlichkeit gesagt, was sie sich denken, wäre es enttäuschend gewesen. Am Ende hat auch der Kanzler wenigstens einen Brief geschrieben, in dem er die Dinge richtiggestellt hat.

Das hat Monate gedauert.

DURNWALDER: Hätten wir nichts gesagt, wäre der Brief gar nicht gekommen.

Im Herbst wählt Südtirol einen neuen Landtag. Sie treten ab. Ihre Partei, die Südtiroler Volkspartei, hat an Strahlkraft eingebüßt und streitet über Ihre Nachfolge. Haben Sie Ihren Hof schlecht bestellt?

DURNWALDER: Man sagt, dass ich ein Baum mit dichtem Astwerk war, unter dem nichts gedeihen konnte. Das stimmt nicht. Ich habe Sonne durchgelassen. Das zeigt sich daran, dass es nicht einen Kandidaten für meine Nachfolge gibt, sondern mehrere. Grundsätzlich ist es für eine Sammelpartei wie die SVP leichter, 50 schwierige Jahre zu überleben als sieben gute. Früher haben wir einen Feind gehabt: Italien. Heute geht es uns gut, wir sind keine sterbende Minderheit. Der Kitt fehlt und der Block, der früher einig war gegen Rom, löst sich auf.

Wird die absolute Mehrheit für die SVP zu halten sein?

DURNWALDER: Nein, aber das liegt in der Natur der Sache. Um die Absolute zu halten, brauchen wir innerhalb der deutschsprachigen Volksgruppe 65 Prozent. Das ist nicht mehr in der Zeit.

Und wie ist es mit Ihnen? Sie sind ein Patriarch, ein wahrer Landesfürst. Sind Sie noch in der Zeit?

DURNWALDER: Ich merke es am eigenen Leib: Ich bin nicht mehr der Jüngste. Und ich bin kein Kandidat für den Nobelpreis für Demokratie. Ich red' gern mit den Leuten. Aber entscheiden, das tue ich. Da kommandiert lei oaner, heißt es dann. Ich hab auch immer gesagt: Leute, ich bin kein Heiliger, ich habe alle Laster, die möglich sind. Trotzdem akzeptieren mich die Südtiroler so, wie ich bin. Sonst hätten sie mich nicht gewählt. Noch nie hat bei uns einer so viele Stimmen gekriegt. Ich hab halt einen sehr engen Kontakt zur Bevölkerung. Seit einem Vierteljahrhundert empfange ich jeden Tag um sechs Uhr früh die Leute. Da kann jede Hure kommen und jeder Pfarrer. Ich sage nicht, dass die Leute kommen müssen, aber ich bin da. Wie das mein Nachfolger halten wird, weiß ich nicht. Ich hoffe, er ahmt mich nicht nach. Aber die Zeit für einen Wechsel, die ist da. Und das ist auch richtig so.