"Ich stehe immer noch unter Schock. Ich habe gedacht, sie haben irgendeinen Fehler gemacht", kommentiert Harry Quaderer das überraschende Abschneiden seiner Liste "die Unabhängigen" (DU) Sonntagnachmittag im Interview mit dem Liechtensteiner Volksblatt. Kurz danach bestätigt das Endergebnis, woran noch am Vortag keiner im 36.000 Einwohner-Staat geglauben hätte. DU erreicht bei den Parlamentswahlen aus dem Stand heraus 15,3 Prozent der Stimmen, die zweite Protestpartei, die grün-nahe "Freie Liste" (FL) kommt auf 11,1 Prozent.

Historisches Ereigenis

Für die konstitutionelle Erbmonarchie ist dies ein historisches Ereignis. Jahrelang machten die beiden Großparteien die Vaterländische Union (VU, "rot") und die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP, "schwarz") das Rennen unter sich aus. Ideologisch-politische Unterschiede zwischen den beiden Parteien sind von außerhalb des Fürstentums nur schwer auszumachen. Beide Parteien sind bürgerlich-konservativ, wenn auch die VU bei manchen Themen eine leicht progressivere Haltung einnimmt. So stellte sie ihren Mitglieder bei der Volksabstimmung über die Einführung der Fristenlösung sowie jener über das Endes des fürstlichen Vetorechts nach Volksabstimmungen frei, wofür sie sich entscheiden wollten. Die FBP gab in beiden Fällen klar die "Nein"-Parole aus. Bis heute ist eine Entscheidung für oder gegen eine Partei daher eher von der Familientradition - pro VU oder pro FBP - abhängig, als von politischen Entscheidungen.

An der Tradition einer VU-FBP-Koalitionsregierung, die mit einer kurzen Unterbrechung durch eine VU- und anschließende FBP-Alleinregierung zwischen 1997 und 2005, seit 1938 durchgängig im Amt ist, wird freilich auch das sonntägliche Wahlergebnis nichts ändern. Es ist jedoch ein klares Zeichen dafür, dass auch in dem Land mit dem höchsten pro-Kopf-Einkommen Europas die Zahl der Unzufriedenen wächst. Das Ergebnis sei ein klares Signal an Rot und Schwarz, dass es so "nicht mehr weitergehen darf", glaubt auch Wahlgewinner Quaderer. Wobei die Unzufriedenheit wie so oft einhergeht mit einer finanziellen Unsicherheit. 2012 wies Liechtenstein erstmals seit Jahrzehnten ein Haushaltsdefizit von 200 Millionen Franken (160 Millionen Euro) auf. Bei einem jährlichen Gesamtbudget von rund einer Milliarde und Reserven von 1,5 Milliarden zwar kein Grund zur Panik. Dennoch wurde den Liechtensteinern klar, dass sie mit dem Ende der Steueroase Liechtenstein - der Finanzplatz erwirtschaftet auch heute noch ein Drittel des BIP - den Gürtel würden enger schnallen müssen.

Schuld dafür war für viele Ex-Regierungschef Klaus Tschütscher und die von seiner Regierung 2010 beschlossene Agenda 2020, die nach einem Riesen-Finanzskandal 2008 für Transparenz im Finanzsektor sorgte. All jene Steuersünder, die nicht bereits durch diverse vor allem an deutsche Behörden verkaufte CDs mit hochsensiblen Bankdaten verjagt wurden, vertrieben die in Folge geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen - erst Ende Jänner etwa auch mit Österreich. Zur Neuorientierung des Finanzplatzes Liechtenstein gibt es freilich keine Alternative, zu groß ist der internationale Druck. Mit dem Thema Sparen ließen sich aber sehr wohl Wählerstimmen gewinnen, wie die Strategie der DU - der mit Quaderer übrigens ein ehemaliger Abgeordneter von Tschütschers VU vorsteht - zeigte. 200 Millionen Franken habe die Liechtensteinische Landesbank in den letzten vier Jahren durch unkluge Kredite verzockt, der Staatsapparat sei zu aufgebläht, Regierung und Abgeordnete zu hoch entlohnt, das sündteuer Landesspital an den Wünschen der Bevölkerung vorbei geplant worden, hieß es im Wahlkampfflyer der DU.

Fürstliches Vetorecht

Die Großparteien werden sich also auf zunehmende Kritik im Landtag einstellen müssen. Nur in einem Punkt wird sich in Liechtenstein wohl auch in den kommenden Jahren so schnell nichts ändern: An der absoluten Machtstellung des Fürstenhauses. Die beiden fürstentreuen Großparteien trauen sich spätestens seit der Verfassungskontroverse 2003 als sich der Fürst mit seinem Verfassungsentwurf in einer Volksabstimmung klar durchsetzte, nicht mehr gegen den Monarchen Position zu beziehen. Und auch im Wahlprogramm der eigentlich monarchiekritischen FL - ihre Mitglieder stimmten 2012 immerhin für die Aufhebung des fürstlichen Vetorechtes nach Volksabstimmungen - ist nur von "Demokratie stärken" und von "Selbstbestimmung bei Schwangerschaftsabbruch" die Rede. Bei der DU fehlt eine Positionierung zum Fürsten gleich ganz.

Das Schloss des Fürsten wird also weiterhin hoch über Landtag und Regierungsgebäude thronen. Auch weil sich die Liechtensteiner nur zu gut an die Zeit vor 1938, als der zuvor in Wien residierende Fürst von Liechtenstein Quartier im Fürstentum bezog, erinnern können. Damals war das größtenteils von der Landwirtschaft geprägte Land nämlich bitter arm, erst die Fürstenfamilie machte es durch geschickte Bündnis- und Finanzpolitik zum reichsten Staat Europas.