Nach tagelangen gewalttätigen Protesten in Ägypten müssen die Demonstranten künftig auch mit einem Eingreifen des Militärs rechnen. Denn die Armee wird nach einem Vorschlag der Regierung vorübergehend mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet. Soldaten haben damit das Recht, auch Zivilisten festzunehmen. Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi sprach am Dienstag von einem Balanceakt für das Militär und warnte angesichts der Krise zugleich vor einem Staatskollaps.

Der Verteidigungsminister erklärte: "Der Konflikt zwischen den verschiedenen politischen Kräften und deren Streitigkeiten darüber, wie das Land regiert werden sollte, könnte zum Staatskollaps führen." Die ägyptische Armee aber werde auch weiterhin die stabile Säule des Staates bleiben.

Einrichtungen schützen

Die Soldaten müssten auf der einen Seite lebenswichtige Einrichtungen schützen, betonte der Minister mit Hinweis auf den Suez-Kanal. Auf der anderen Seite wollten sie Konfrontationen mit Ägyptern vermeiden, die ihr Demonstrationsrecht wahrnähmen. Deshalb sei es äußerst wichtig, dass die Demonstrationen friedlich blieben, rief er seine Landsleute auf.

In der Nacht zum Dienstag waren trotz einer für drei Städte am Kanal geltenden nächtlichen Ausgangssperre erneut Tausende Menschen zu Protesten gegen die Regierung von Präsident Mohammed Mursi auf die Straße gegangen. Die an Brennpunkten in Port Said, Ismailia und Suez stationierten Militärs griffen nicht ein, um den zuvor für 30 Tage verhängten Ausnahmezustand durchzusetzen. Bei Krawallen in Port Said wurden mindestens zwei Menschen getötet. "Nieder, nieder mit Mohamed Mursi", skandierte die Menge in Ismailia. "Nieder mit dem Ausnahmezustand!" In der Hauptstadt Kairo zündeten Demonstranten Autos an. Die Armee teilte mit, sie habe die Erstürmung des Gefängnisses der Stadt verhindert. Anders als in den vergangenen Tagen blieb es jedoch am Dienstagmorgen zunächst ruhig.

Bis zur Wahl

Die neuen Befugnisse für die Soldaten sollen bis zur Parlamentswahl gelten, die im Frühjahr geplant ist. Auslöser waren seit Freitag andauernde Ausschreitungen mit fast 50 Toten.

Am Mittwoch wird Mursi trotz der Krise in seinem Land in Berlin erwartet. Nach Angaben der deutschen Bundesregierung hielt das ägyptische Staatsoberhaupt zunächst an seinem Besuch fest. Mursi will bei seinem Antrittsbesuch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen.

Der Islamist steht auch bei internationalen Menschenrechtsorganisationen wegen seines autoritären Führungsstils in der Kritik. Zwei Jahre nach dem Sturz von Langzeitpräsident Hosni Mubarak wird Mursi immer wieder mit seinem Vorgänger verglichen. Denn der war jahrzehntelang vom Militär gestützt worden und hatte sich mit Notstandsgesetzen an der Macht gehalten. Mit dem Amtsantritt Mursis im Sommer hat schließlich auch die Armee an Einfluss verloren und war vorübergehend von der Bildfläche verschwunden.