Blitzartig umringen die Täter ihr Opfer, sofort machen sich Horden junger Männer auf offener Straße über die gefangene Frau her. Letzten Freitag, am zweiten Jahrestag der Revolution, wurde eine 19-Jährige auf dem Tahrir-Platz in eine Seitenstraße gezerrt, nackt ausgezogen und mit einem Messer vergewaltigt. Völlig verstört und mit schweren Schnittwunden an ihren Genitalien liegt sie nun im Krankenhaus. In Ägypten entlädt sich die Gewalt derzeit nicht nur in den anhaltenden Straßenschlachten, sondern zunehmend auch gegen Frauen. Organisierte Vergewaltigungen im Zentrum von Kairo werden immer schlimmer und immer häufiger. 25 missbrauchte Frauen zählten die Selbsthilfeorganisationen "Operation Anti-Sexual Harassment" (OpAntiSH) und "Tahrir Bodyguard" allein am vergangenen Freitag. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, weil viele Betroffene sich schämen, ihre Tortur anzuzeigen. "Einige der Opfer wurden begrapscht, andere von dem Mob mit Fingern vergewaltigt. Die Frauen haben Bisswunden am ganzen Körper, alle ihre Sachen wurden gestohlen", erklärte OpAntiSH-Sprecherin Leila Zahra. "Es war einer der schlimmsten Tage, die wir bisher erlebt haben."

Eine junge Frau, die eine solche brutale Attacke im November überlebte, entschloss sich, ihre traumatischen Erfahrungen auf der Nazra-Website für feministische Studien zu veröffentlichen: "Es waren Hunderte von Händen, die mir die Kleider vom Leib rissen. Es gab keinen Ausweg, jeder behauptete, er wolle mich schützen und retten, doch alles, was ich von denen um mich herum spürte, waren Vergewaltigungen mit den Fingern - von vorne und von hinten - einer hat sogar versucht, mich zu küssen. Ich war total nackt und wurde von der Menge in eine Gasse gestoßen nahe dem Restaurant Hardee's. Jedes Mal, wenn ich zu schreien versuchte oder mich wehrte, steigerten sie ihre Vergewaltigungen."

Ein Reporter der Zeitung "Egypt Independent", der letzten Freitag gegen 18 Uhr in der Nähe von Hardee's stand, war Augenzeuge eines Angriffs auf eine etwa 40-jährige Ägypterin. Hier an der Kreuzung der Qasr-al-Ainy- und Mohammed-Mahmoud-Straße treiben sich die meisten der Dauerkrawallmacher herum, von hier geht ein Netz von schmalen, dunklen Seitengassen ab.

Angst und Entsetzen

Hunderte Männer umdrängten die Frau, die voller Panik um Hilfe schrie. Kurz danach lag sie auf dem Pflaster und war völlig nackt, ihr Gesicht starr vor Angst und Entsetzen. Am Ende gelang es zwei, drei kräftigen Typen, die mit gezückten Ledergürteln auf die Angreifer eindroschen, das Opfer in einen Krankenwagen zu retten.

Sexuelle Belästigung ist in Ägypten extrem verbreitet, egal ob die Frauen verschleiert oder unverschleiert sind. Die häusliche Gewalt in den Familien ist hoch. Und besonders an Feiertagen, wenn die meisten jungen Männer in den Straßen herumhängen, häufen sich die Übergriffe. Viele junge Mädchen trauen sich an Festtagen nicht mehr auf die Straße. Die Polizei schaut weg, ermittelt wird fast nie. Auch auf dem Tahrir-Platz herrscht ein Klima der Straflosigkeit. "Sie denken, sie können sich alles erlauben, denn niemand kann sie zur Verantwortung ziehen und bestrafen", sagte eine junge Helferin. Mehr als 100 Aktivisten von "Operation Anti-Sexual Harassment" und "Tahrir Bodyguard", die sich im November gegründet haben, patrouillierten am Freitag auf dem Tahrir-Platz, um Frauen zu warnen, zu schützen oder im Notfall in Sicherheit zu bringen.