Es gab eine Zeit, da herrschte bei den deutschen Liberalen Aufbruchstimmung. Sie waren gerade von einer Garde junger Politiker Anfang dreißig übernommen worden. Die "Boygroup von der FDP" nannte man das Trio Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr. Die alte Garde um den einstigen Parteiretter und Star Guido Westerwelle war ausgemustert und in diesem Überschwang sagte Rösler bei seiner Krönung zum jüngsten Parteivorsitzenden aller Zeiten zu allem Überfluss: "Ab jetzt liefert die FDP." Das war vor zwei Jahren. Doch das einzige Handfeste, was die FDP seither stetig geliefert hat, sind Umfragetiefs.

Die Liberalen, im Nachkriegsdeutschland über Jahrzehnte Königsmacher für SPD oder CDU, sind in ihrer Existenz bedroht. In der Vorwoche sackte die FDP gar auf zwei Prozent ab. Ein Desaster kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen, dem einzigen relevanten Stimmungstest vor der Bundestagswahl am 22. September. Inzwischen ist der FDP der Glanz längst wieder abhandengekommen und die Liberalen wirken so niedergeschlagen wie ein Taferlklassler, der beim Blick in die Schultüte feststellt, dass nichts drin ist.

Für den angeschlagenen Parteivorsitzenden Rösler dürfte der Urnengang in seinem Heimatbundesland zur Schicksalswahl werden. Schon beim Dreikönigstreffen der FDP war der Führungsstreit auf offener Bühne ausgetragen worden. Hochrangige Liberale fordern schon seit Wochen einen Parteitag zur Abstimmung über die Führungsfrage. Den Wirtschaftsminister und Vizekanzler hat bislang nur gerettet, dass sich seine Gegner nicht auf einen Kandidaten einigen konnten. Wenn die FDP die Fünfprozenthürde verpasst oder nur knapp darüberliegt und damit nicht erneut an der Regierung in Hannover beteiligt wird, muss Rösler den Sessel räumen, heißt es aus der Partei, die FDP habe unter ihm in vielen Politikfeldern keine klare Linie mehr.

Nicht weniger unglücklich agiert Peer Steinbrück. Erst holpert er mit einer Debatte über seine Vortragshonorare in die Spitzenkandidatur für das Kanzleramt hinein und bringt dann mit einigen ungeschickten Äußerungen den anlaufenden Wahlkampf für den Herbst (und den heiß laufenden in Niedersachsen) in Turbulenzen. Auch bei den Sozialdemokraten wird bereits über eine Auswechselung des Kanzlerkandidaten diskutiert. Steinbrück gilt weithin nur noch als "Pannen-Peer" und befindet sich in den Umfragen mit seiner SPD im freien Fall. 23 Prozent geben die Demoskopen der SPD derzeit, exakt so viel wie das enttäuschende Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2009. Von einer zwischenzeitlichen Erholung ist nichts mehr zu spüren.

Austausch des Kandidaten

In Berlin wird daher spekuliert, dass Parteichef Sigmar Gabriel nach einem Wahldebakel am Sonntag die Aufgabe von Steinbrück übernehmen könnte - auch wenn die Parteispitze dieses Szenario dementiert. Steinbrück sei "Kanzlerkandidat vor und nach Niedersachsen", sagt Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann ergänzt: Steinbrück sei ein "Zugpferd". Es wären schließlich noch acht Monate Zeit, um Merkel aus dem Amt zu heben, so Oppermann.

Die Schwäche der SPD, der FDP sowie der Piraten und der Linkspartei führen zur Stärke der CDU. Dort ist es die Kanzlerin selbst, die von Umfragehoch zu Umfragehoch schaukelt und auf deren Beliebtheitswert die Union oben mitschwimmt. Sowohl Rösler als auch Steinbrück versinken im Schatten des Ansehens von Angela Merkel. Sie steigt bei den persönlichen Werten auf 59 Prozent, während Steinbrück auf 18 Prozent Zustimmung fällt.

Der "Tagesspiegel" bezeichnete die Wahl in Niedersachsen deshalb als eine, die "ein Beben auslösen kann, wie es dieses Land womöglich so noch nicht erlebt hat". Nicht ganz so pathetisch wie die Hauptstadtzeitung, aber ebenso wegweisend empfinden auch andere deutsche Zeitungen die an sich eher als farblos bezeichnete Landtagswahl.