Herr Verteidigungsminister, Sie werben für Berufsheer und Sozialjahr. Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, einen dieser Dienste anzutreten? NORBERT DARABOS: Auf jeden Fall. Aber es ist eine persönliche Entscheidung der Kinder. Das hängt von ihnen ab und nicht von Vater oder Mutter. Beide Dienste sind gleich viel wert.

Sie meinen, bei einer Umstellung des Systems genügend Personen für ein Berufsheer zu finden. Was macht Sie so sicher? DARABOS: Erstens haben wir bei den Zeitsoldaten schon jetzt mehr Bewerber, als wir aufnehmen können. Zweitens gibt es Studien, die belegen, dass über 500.000 junge Männer und Frauen bereit wären, einen Teil ihrer Karriere dem Bundesheer zu widmen. Und drittens zeigen uns Erfahrungen in Schweden und Deutschland, dass es möglich ist, erfolgreich zu rekrutieren.

Frau Innenministerin, man findet also genug Leute. JOHANNA MIKL-LEITNER: Die Pilotprojekte des Kollegen Darabos zeigen das Gegenteil. Wenn ich an sein Projekt mit der Profimiliz denke, wo er 40.000 angeschrieben hat, 4000 haben sich gemeldet und letztlich sind 40 geblieben. Das heißt, er braucht für einen Profimiliz-Soldaten 100 Bewerber. Schauen wir in die anderen europäischen Länder, die ein Berufsheer eingeführt haben. Es gibt überall massive Rekrutierungsprobleme. In Spanien wurde der Intelligenzquotient für die Aufnahme ins Heer auf 75 abgesenkt. Dort wird sogar mit der Staatsbürgerschaft geworben. In England geht man zu den Gefängnistoren. In den USA wirbt man bereits bei Vorbestraften.

DARABOS: Frau Kollegin, das stimmt einfach nicht. Wir haben uns Deutschland und Schweden genau angesehen. In Schweden gibt es für 3000 Plätze mehr als 30.000 Bewerber - und das bei einem sehr hohen Frauenanteil von bis zu 30 Prozent. Auch in Deutschland gibt es einen klaren Überhang. Und die britische Armee derartig zu desavouieren, ist völlig verfehlt. Ich halte die britische und die US-Armee für die besten der Welt. Wir sind eine kleine, aber feine Armee. Ich bin fest überzeugt, dass wir die Mobilisierungsstärke von 55.000 erreichen würden. Das zeigen alle Studien.

MIKL-LEITNER: Beziehen wir uns nicht auf Studien, bleiben wir bei den Fakten. In Schweden gibt es massive Rekrutierungsprobleme. Und die Werbungskosten hat man von 16 auf 30 Millionen Euro hinaufgesetzt.

DARABOS: Ja, bleiben wir bei den Fakten. Der ehemalige Verteidigungsminister Schwedens hat kürzlich klar gesagt, dass es funktioniert. Und als ehemaliger Minister hätte er keinen Grund, das Modell loben zu müssen. Ich habe mir in Schweden und Deutschland Rekrutierungszentren angesehen. Der Vorwurf, dass der untere soziale Rand oder Rambos kommen, gilt eher für den Grundwehrdienst, weil da alle kommen müssen. Bei einem Berufsheer kann man besser die Spreu vom Weizen trennen kann.

MIKL-LEITNER: Bei den Deutschen musste das Budget für die Rekrutierung von acht auf 20 Millionen hinaufgesetzt werden, die Ausfallsquote beträgt 30 Prozent. Ich erwarte eine ehrliche Information gegenüber den Österreichern.

DARABOS: Sie sind nur halbehrlich. Die 30 Prozent gelten für den Grundwehrdienst, den brauchen wir ja nicht. Bei den Zeitsoldaten, die wir brauchen, haben die Deutschen einen klaren Überhang. Für mich steht fest, dass Profis mehr Sicherheit bringen sowie eine längere Ausbildung haben als Grundwehrdiener, die uns nach nur sechs Monaten wieder verlassen.

MIKL-LEITNER: Schauen wir in vergleichbare Länder, wie Finnland oder die Schweiz. Gerade Österreich als kleiner neutraler Staat braucht ein Bundesheer wie einen Maßanzug. Das ist unser System auf Basis der Wehrpflicht und der Neutralität, weil wir je nach Situation flexibel bei der Größe unseres Heeres sind.

Aber ist die Wehrpflicht nicht ein Auslaufmodell und ein Relikt des Kalten Krieges, Frau Minister? MIKL-LEITNER: Die Wehrpflicht ist kein Auslaufmodell. Über die Wehrpflicht rekrutieren wir sehr viele Milizsoldaten. Und die brauchen wir im Auslandseinsatz und im Katastrophenfall.

DARABOS: Ich danke für die Stärkung meiner Argumente - das meine ich ganz ernst und nicht zynisch. Die Stärkung der Miliz ist ein zentrales Element meines neuen Modells. Wir hätten 9300 Profimiliz-Soldaten, die eine sechsmonatige Ausbildung bekommen, die zwei bis drei Wochen im Jahr üben müssen und dann im Katastrophenfall bestens gerüstet sind. Mein Amtsvorgänger Günther Platter hat die Milizübungen ausgesetzt und damit das Milizsystem ausgehöhlt. Und ich habe die Übungen auf geringem Niveau wieder eingeführt. Wir brauchen Spezialisten, die im Cyberkrieg gewappnet sind, wir brauchen Soldaten für die Terrorismusbekämpfung. Wir brauchen Profis für Evakuierungseinsätze in gescheiterten Staaten wie in Ägypten oder Libyen 2011. Wir haben den Auslandseinsatz, wo es eben nur Berufs- und Milizsoldaten gibt und keine Grundwehrdiener.

MIKL-LEITNER: Herr Minister Darabos, ich denke nur an einen Cyberangriff, wo es in Wien drei Tage lang keinen Strom gibt, keine U-Bahn fährt, kein Bankomat funktioniert. Da brauchen wir die Cyberexperten. Da müssen wir über das Milizsystem auch auf die Wirtschaft zugreifen können. Dort haben wir auf Knopfdruck wesentlich mehr Experten, als die Republik sich jemals wird leisten können. Und gerade in einer derartigen Situation brauchen wir auch Rekruten, die kritische Infrastruktur sichern, die Plünderungen verhindern und Nahrungsmittel sowie Medikamente verteilen. Nach den verheerenden Anschlägen von Breivik haben in Norwegen Rekruten die Gebäude und kritische Infrastruktur bewacht.

DARABOS: Es geht nicht um die Rekruten. Es geht um die Mann- und Frauenstärke. Und die ist im neuen System genauso gewährleistet.

Sie haben beide die Personalstärke angesprochen. Gäbe es im Ernstfall mit dem Berufsheer genauso viele Leute wie jetzt? DARABOS: Ja. Wir haben 8500 Profisoldaten in meinem Konzept und 7000 Zeitsoldaten. Gemeinsam mit der Profimiliz und der beorderten Miliz, die aus den ehemaligen Profis gespeist würde, hätten wir die Mobilisierungsstärke von 55.000 Mann gesichert für jeden Ernstfall.

MIKL-LEITNER: Einig sind wir uns bei der Mobilisierungsstärke von 55.000 Mann. Die bringen wir nur mit Rekruten und Milizsoldaten zustande. Nach dem Modell des Kollegen Darabos haben wir nur 15.500 Berufs- und Zeitsoldaten. Alles andere ist eine Fata Morgana. Alles andere ist weder rekrutiert noch vorhanden. Österreich ist das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit. Wir werden daher dieses Personal nicht bekommen. Und es gibt vom Herrn Verteidigungsminister keinen Plan B, was dann passiert.

DARABOS: Ich brauche keinen Plan B, Frau Kollegin, weil wir genug Rekrutierungen schaffen werden. Das zeigen ja auch die anderen Länder . . .

Mikl-Leitner lacht.

DARABOS: . . . 93 Prozent der EU-Bevölkerung werden von Berufsarmeen geschützt. Wehrpflicht gibt es noch in Finnland, Estland, Griechenland und Zypern, die jeweils ganz andere Bedrohungen haben. Zypern ist sogar im Kriegszustand. Österreich hat diese Bedrohungen nicht mehr, das hat auch ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll 1999 gesagt. Er hat damals wörtlich gesagt: "Es führt am Berufsheer kein Weg vorbei." Das können Sie nachlesen. Und ich bin der Meinung, dass das auch für Österreich gelten wird.

MIKL-LEITNER: Geschätzter Kollege Verteidigungsminister Darabos, schenken wir den Menschen reinen Wein ein. Ja, es stimmt, bei der ÖVP gab es eine Diskussion über ein Berufsheer. Man hat das ehrlich diskutiert und gesagt, ein Berufsheer führt zur Aufgabe der Neutralität und zum Beitritt zur Nato und kostet mehr als das Doppelte. Und deshalb haben wir gesagt, wir wollen keinen Nato-Beitritt und dieses Berufsheer ist zu teuer. Ich vermisse jetzt bei Ihnen die Ehrlichkeit. Wenn man ein Berufsheer haben will, muss man den Menschen auch sagen, dass der Umstieg der erste Schritt ist in Richtung Nato.

Warum? MIKL-LEITNER: Bitte, schauen wir Schweden an.

Schweden ist nicht in der Nato. MIKL-LEITNER: Das wird dort aber mittlerweile diskutiert.

Irland ist auch nicht in der Nato. MIKL-LEITNER: Wir werden uns doch nicht mit einer Insel vergleichen. Schauen wir uns Europa an. Dort sind die meisten Staaten, die ein Berufsheer haben, Mitglied der Nato.

DARABOS: Es gibt zwei Staaten, Irland und Schweden, der eine neutral, der andere allianzfrei, die ein Berufsheer haben und nicht Mitglied der Nato sind. Auf der anderen Seite war Deutschland längst Mitglied der Nato und hatte die allgemeine Wehrpflicht. Die Wehrpflicht mit der Nato zu verknüpfen, ist unseriös. Das ist eine politische Entscheidung. Die SPÖ war immer für Neutralität.

MIKL-LEITNER: Bis zum Wahlkampf 2010 in Wien . . .

DARABOS: . . . währenddessen hat die ÖVP die Neutralität mit Mozartkugeln und Lipizzanern verglichen.

Frau Innenminister, wie stellt sich die ÖVP die Zukunft des Bundesheeres vor? Es gibt von Ihrer Partei noch kein Modell. MIKL-LEITNER: Irrtum!

ÖVP-Chef Spindelegger hat angekündigt, dass man das Modell am 21. Jänner präsentieren werde. MIKL-LEITNER: Unser System beruht auf der Wehrpflicht unter dem Dach der Neutralität. Das hat seit 60 Jahren bestens funktioniert. Nennen Sie mir eine Situation, wo das Bundesheer nicht funktioniert hat. Aber wir wissen, dass es reformiert werden muss. Ein Haus reißen sie auch nicht ab, wenn es in die Jahre gekommen ist. Man saniert es. Auch beim Auto kauft man sich nicht gleich ein neues, wenn die Reifen abgefahren sind. Wir wollen einen Präsenzdienst ohne Leerlauf. Daher sollen Kompetenzen vermittelt werden, die nicht nur für das Bundesheer, sondern auch über diese Zeit hinaus nützlich sind: etwa sportliche Gesundheit und Ernährung. Wir wissen auf Basis einer WHO-Studie, dass sich 40 Prozent der Jugendlichen ungesund ernähren und sich nur eine Stunde am Tag bewegen. Es sollte auch eine umfassende Erste-Hilfe-Ausbildung, eine ABC- und Katastrophenschutzausbildung sowie Staatsbürgerschaftskunde angeboten werden. 25 Prozent der Rekruten haben einen Migrationshintergrund. In Wien haben 60 Prozent der Jugendlichen einen Migrationshintergrund.

Und all das soll nicht mehr kosten? MIKL-LEITNER: Selbstverständlich. Das Modell des Kollegen Darabos würde viel mehr kosten, nämlich vier Milliarden Euro. Und keiner weiß, welche Kasernen geschlossen werden müssen.

DARABOS: Ich würde gerne wissen, wie Sie auf diese Zahl kommen . . .

MIKL-LEITNER: Alle Experten sagen das.

DARABOS: Das war jetzt ein wenig viel. Die zentrale Frage ist: Können wir die Aufgaben, die dem Bundesheer gestellt sind, mit einer Freiwilligenkomponente gleich gut oder besser erfüllen?

MIKL-LEITNER: Ganz klar Nein.

DARABOS: Ich sage ganz klar Ja. Wir haben beim Berufsheer keine Steigerung der Mannzahlen. Insofern ist es absurd zu sagen, dass sich das Budget verdoppeln soll. Im neuen System werden wir durch eine Verschlankung des Verwaltungsapparats vielmehr neue Ressourcen für Beschaffungen und Investitionen schaffen. Denn wenn wir so weitermachen, werden wir das System gegen die Wand fahren. Als ich Generalstabschef Edmund Entacher, der jetzt sozusagen Ihr Kronzeuge ist, gebeten habe, den Grundwehrdienst zu attraktivieren, hat er mir geantwortet, das sei per se nicht möglich. Das mag rotzig klingen, ist aber tatsächlich so. Das System frisst sich selber auf. Rekruten verwalten und servicieren Rekruten. Wir haben 60 Prozent Systemerhalter. Und wenn wir sie anders einsetzen, dann steigen die Kosten.

MIKL-LEITNER: Das stimmt so nicht. Finnland hat kalkuliert, was es kosten würde, auf ein Berufsheer umzusteigen. Ergebnis: vier Mal so viel.

DARABOS: In Deutschland ist das Budget durch den Umstieg um keinen Cent gestiegen. Fragen Sie Ihre Parteifreunde in Berlin.

MIKL-LEITNER: Mir geht es nicht um Parteifreunde, sondern um die Sicherheit. Die Schweden haben ein viel höheres Budget.

DARABOS: Schweden hatte schon immer ein höheres Budget. Außerdem verfügt es über eine Marine und 100 Abfangjäger. Wir sind ein Binnenland.

Frau Ministerin, Sie warnen, ohne Zivildiener kommt die Rettung nicht mehr in zehn Minuten, sondern in 30. MIKL-LEITNER: Das ist eine Befürchtung des Präsidenten des Roten Kreuzes Oberösterreich . . .

DARABOS: . . . zufällig ein ÖVP-Landtagsabgeordneter.

MIKL-LEITNER: Er hat die Sorge, dass die Rettung später kommt und das natürlich Leben kosten kann. Die Uni Wien hat festgestellt, dass das Sozialjahrmodell nicht 172 Millionen Euro, sondern das Doppelte, 330 Millionen Euro kostet. Außerdem setzt das Modell auf eine hohe Arbeitslosigkeit. Die haben wir zum Glück nicht. Daher werden sich nicht genug Leute dafür finden.

DARABOS: Es wird ein Leichtes sein, die 8000 Leute zu finden. Und das Sozialjahr kostet gleich viel wie der Zivildienst, rund 200 Millionen Euro. Das hat Minister Hundstorfer nachgewiesen. Wir beide garantieren den Blaulicht- und Sozialorganisationen: Jeder Zivildiener wird durch einen motivierten freiwilligen Mitarbeiter ersetzt.

Frau Ministerin, wenn es bei der Volksbefragung eine Mehrheit für ein Berufsheer gibt: Werden Sie es dann mittragen? MIKL-LEITNER: Die Bevölkerung entscheidet. Und es wird dann am Kollegen Darabos liegen, ein umfassendes System vorzulegen. Die sechs Seiten, die er jetzt hat, reichen jedenfalls nicht aus.

Und wie schaut es bei Ihnen am Tag nach der Volksbefragung aus, Herr Minister? DARABOS: Das Ergebnis der Volksbefragung ist bindend.

Wenn die Bürger am System festhalten wollen, das aus Ihrer Sicht unreformierbar ist, müssen Sie dann nicht zurücktreten? DARABOS: Ich habe immer gesagt, dass diese Frage nicht im Fokus der Volksbefragung steht. Ich freue mich, dass der Kanzler volles Vertrauen hat.

Werden Sie im Fall des Falles auf eine Wehrpflicht für Frauen drängen? DARABOS: Nein. Die SPÖ ist gegen eine Wehrpflicht für Frauen. Aber es gibt Stimmen aus der ÖVP, zum Beispiel die Bürgermeisterin von Innsbruck, die laut darüber nachdenkt. Und es gibt namhafte Verfassungsrechtler, die sagen, dass es über die Jahre dazu kommen könnte.

MIKL-LEITNER: Sie meinen den Herren Prof. Heinz Mayer, der zufällig Mitglied des SPÖ-Komitees für ein Berufsheer ist? Namhaften Verfassungsexperten und der EU-Gerichtshof stellen klar, dass die Wehrpflicht der Gleichbehandlung nicht widerspricht.

Aber Sie könnten sich vorstellen, den Zivildienst auf freiwilliger Basis für Frauen zu öffnen. Wie soll das konkret ausschauen? MIKL-LEITNER: Es gibt Frauen, die sich das wünschen. Und ich lade die Einsatzorganisationen ein, das nach dem 20. Jänner umfassend zu diskutieren.

Sollen diese Frauen bezahlt werden? MIKL-LEITNER: Wie Zivildiener heute.

DARABOS: Das Hundstorfer-Modell ist anders: Wir würden 1400 Euro, 14 Mal jährlich, bezahlen. Das wäre adäquat und eine anständige Bezahlung.

Woran soll sich ein Bürger nun im Hinblick auf die Volksbefragung orientieren? Es steht auch nach diesem Streitgespräch Aussage gegen Aussage. DARABOS: Das ist so in einer Demokratie.

MIKL-LEITNER: Unser Modell ist überprüfbar. Außerdem: Warum sollen wir ein funktionierendes System aufgeben?

DARABOS: Die Zeiten ändern sich. Julius Raab hat auch gesagt, das Fernsehen wird sich nie durchsetzen.

MIKL-LEITNER: Und Sie haben noch 2010 erklärt, die Wehrpflicht sei in Stein gemeißelt.

DARABOS: Adenauer hat schon gesagt, dass man gescheiter werden kann.

Das Streitgespräch wurde gemeinsam mit der Tiroler Tageszeitung und den Vorarlberger Nachrichten geführt. Für die Kleine Zeitung nahm Michael Jungwirth teil.