Das war ja eine erstaunlich ergebnisreiche Klausur für eine Regierung in ihrem letzten Jahr. Stehen Sie unter dem Eindruck der IFES-Studie über den Unmut über die Politik?

WERNER FAYMANN: Ich versuche, dass meine Stimmung von Tagesumfragen unabhängig bleibt, denn sonst sitzt man in einer Hochschaubahn. Daher war ich immer der Überzeugung, man muss im letzten Jahr dieser Legislaturperiode beweisen, dass man es nicht für den Wahlkampf nutzt, sondern für Reformen. Und ich will zeigen, was wir in der nächsten Periode noch vorhaben.

Im Frühjahr wollen Sie über Schule und Demokratiereform reden. Beim ersten Thema gibt es keine Einigkeit, beim zweiten wollen beide Parteien eigentlich nicht mehr. Warum diese Themen?

FAYMANN: Ich habe verlangt, dass wir das Thema Bildung bei der nächsten Klausur auf die Tagesordnung setzen. Das ist mir deshalb so wichtig, weil ich überzeugt bin, dass wir viel zu wenig verschränkten Unterricht in Ganztagsschulen haben. Wir halten derzeit bei zehn Prozent, arbeiten uns mühevoll in Richtung 18 Prozent vor, und das ist in Wahrheit ein ganz geringes Niveau für europäische Verhältnisse. Die sogenannten PISA-Sieger in Skandinavien haben bis zu 100 Prozent Versorgung von Pflichtschülern.

Warum haben Sie das so knapp vor der Klausur ins Gespräch geworfen und die ÖVP überrascht?

FAYMANN: Die Ganztagsschule zu forcieren, das Lehrerdienstrecht zu reformieren, das ist nicht neu.

Das Lehrerdienstrecht nicht, aber die Ganztagsschulen.

FAYMANN: Ich habe mehrfach gesagt, dass ich die Ganztagsschulprogramme verstärken möchte, schon seit mehreren Wochen. Ich habe auch die Kosten diskutiert, aber keine Zustimmung bekommen. Daher ist es gut, dass sich die Regierungsklausur Anfang März damit beschäftigt.

Sie haben angedeutet, die Position der SPÖ zu Studiengebühren könnte sich ändern, sofern der Universitätszugang für Arbeiterkinder gewährleistet ist.

FAYMANN: In der SPÖ befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema: Gibt es die Möglichkeit, ein Modell zu schaffen, in dem es Stipendien für jene gibt, die wenig Geld haben oder ständig arbeiten müssen, um sich das Studium überhaupt leisten zu können? Ich habe gesagt, wenn wir ein solches Modell haben, dann würden wir das vor der Wahl sagen. Das ist der entscheidende Punkt.

Wie wollen Sie die zarte Pflanze Gemeinsamkeit über die nächsten Monate retten - es gibt Wahlen und eine Abstimmung übers Heer.

FAYMANN: In einer Volksbefragung gewinnt die Bevölkerung, gleich wie sie ausgeht. Die Partei, die glaubt, das in Wählerstimmen ummünzen zu können, warne ich: Das hat noch nie funktioniert. Der Wähler kennt den Unterschied zwischen einer Volksbefragung und einer Nationalratswahl. Das wäre eine Beleidigung des Wählers.

Und die drei Landtagswahlen?

FAYMANN: Ich weiß, dass nach Landtagswahlergebnissen prinzipiell einige Tage lang in den Kommentaren steht - vor allem wenn es schlecht ausgeht - "Die Bundespolitik ist verantwortlich". Aber ich weiß, dass die Bevölkerung einen Unterschied erkennt zwischen einer Nationalrats- und einer Landtagswahl. Das lässt sich auch anhand der Ergebnisse beweisen.

Sie haben also keine Angst vor Interferenzen?

FAYMANN: Nein, denn das hätte mich dann in den letzten vier Jahren schon etliche Male aus der Bahn geworfen. Da muss man drüberstehen, sonst kann man das Land in schwierigen Zeiten nicht führen.

Visionslosigkeit wirft man Ihrer Regierung oft vor. Was also ist Ihre Vision für Österreich?

FAYMANN: Wir haben die höchste Beschäftigung und einen starken sozialen Ausgleich. Es gibt kein vergleichbares Land in Europa, und das in Zeiten einer Wirtschaftskrise. Das "Triple A" wurde bestätigt, wir haben die niedrigsten Zinsen für Staatsanleihen, die höchste Beschäftigung und die geringste Arbeitslosigkeit. Wenn das nicht eine Vision für ein Land ist? Diese Art von Pragmatismus ist die Vision: zu zeigen, dass ein Land wirtschaftlich stark und sozial sein kann in ganz schwierigen Zeiten. Mit Reformen müssen wir jetzt die Grundlage schaffen, dass das auch für unsere Kinder gilt.

Woher kommt dann dieses schlechte Image der Politik, Ihrer Regierung?

FAYMANN: Österreich steht zwar im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut da, aber auch wir wurden von der Finanzmarktkrise getroffen. Alleine, dass wir über Bankenrettungspakete in Milliardenhöhe diskutieren, statt diese Milliarden für eine ordentliche Steuerreform zu verwenden! Natürlich sagen viele Menschen, da kann nicht alles in Ordnung sein. Ich brauche nur zurückzublicken, mit welchen Regierungschefs ich am Anfang im Europäischen Rat zusammengesessen bin - von denen ist schon mehr als die Hälfte ausgetauscht worden. Um auf die Umfrage zurückzukommen - die SPÖ hält selbst bei den schlechtesten Befragungen noch den ersten Platz.

Die jüngste IFES-Umfrage dokumentiert eine generelle Enttäuschung von der Politik.

FAYMANN: Die Finanzmarktkrise hat zu einer Glaubwürdigkeitskrise der Politik geführt. Die Bevölkerung stellt zu Recht die Frage: Wer hat eigentlich das Sagen, die Finanzmärkte oder die Politik? Finanzmärkte kann man nicht abwählen. Daher drückt sich das in einer Demokratie dort aus, wo es sich eben ausdrücken kann. Aber Österreich steht im Vergleich gut da. Wenn uns alle wählen, die das so sehen, wäre ich schon sehr zufrieden.

Ihre Partei hat Sie am Parteitag abgestraft, Sie schienen getroffen. Wie gehen Sie damit um?

FAYMANN: Ich habe gewusst, dass es Kritik von Funktionären gibt, die sich fragen, wozu brauchen wir eine Schuldenbremse und einen Fiskalpakt.

Ist das der zentrale Punkt?

FAYMANN: Von den mir gegenüber geäußerten Kritikpunkten ist das die Hauptdiskussion: Warum begrenzt man Schulden, wenn man doch so dringend Geld zum Investieren braucht?

Was erwidern Sie?

FAYMANN: Ich sage, das Geld für Investitionen muss man durch zusätzliche Einnahmen wie die Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögenssteuer ab einer Million Euro einnehmen und durch Einsparungen etwa bei der Verwaltungsreform, nicht durch viele neue Schulden. Sonst begibt man sich in die Unfreiheit. Ich möchte nicht, dass unser Land einmal abhängig ist von einer Troika.

Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu Michael Spindelegger, gehen Sie manchmal gemeinsam auf ein Bier?

FAYMANN: Ich war schon mit Michael Spindelegger Abendessen, und in letzter Zeit trinken wir sehr viel Kaffee miteinander. Wir treffen uns jede Woche bei mir unter vier Augen, zusätzlich zu den sonstigen Terminen. In einem Wirtshaus waren wir gemeinsam schon länger nicht mehr.

Wie beurteilen Sie den Neuzugang im Parlament, Frank Stronach?

FAYMANN: Ich habe von ihm schon so viele Rösselsprünge gesehen: Vorhaben, die er dann nicht zu Ende geführt hat, ob das nun bei einem Stadion in Wien der Fall war oder bei einem Einkaufszentrum, das es dann nicht gegeben hat; dann habe ich etwas gelesen von großen Rennbahnen. Ich warte einmal ab, wer zum Schluss überhaupt wo kandidiert und ob er bei der Nationalratswahl noch Lust an der Politik verspürt.

Haben Sie im US-Wahlkampf mitgefiebert?

FAYMANN: Ja, nicht nur, weil ich Präsident Obama bei einigen Gelegenheiten persönlich kennengelernt habe, sondern weil mir seine Politik natürlich nähersteht als jene der Republikaner. Die Republikaner haben ihn in wesentlichen Fragen blockiert und dann haben sie gesagt, was hat er denn schon zusammengebracht? Dass das nicht aufgegangen ist, war von ihm eine besondere kommunikative Leistung.

Und wie sehen Sie den neuen chinesischen Parteichef?

FAYMANN: Er tritt sein Amt erst an, daher kann ich noch nichts über ihn sagen. Natürlich ist die Entwicklung eines so großen Landes wichtig. Wir würden uns immer auch wünschen, dass sie mit einer Demokratisierung einhergeht. Ich glaube, es gibt keinen langfristigen Wohlstand ohne Demokratie.