Der Dinosaurier reckt sein Maul in Richtung Meer. Zwei Tonnen wiegt das Ungetüm aus rostigem Stahl. Wochenlang hat sein Schöpfer Ali Wakwak an ihm gearbeitet. Die Nüstern sind abgesägte Flakgeschütze, die Beine ehemalige Kanonenrohre. Der Körper ist zusammengeschichtet aus Panzerplatten, Metallfedern und Radfelgen, die der Künstler vor den Toren Bengasis aus den von der Nato zerstörten Wracks der Gaddafi-Armee geborgen hat.

"Von der Zerstörung zu neuem Leben - darum geht es mir", sagt der 65-Jährige. Quer durch den Palmengarten des ehemaligen Königspalais von Bengasi zieht sich seine Totengalerie aus 524 rostigen Stahlhelmen, in die er mit seinem Schweißgerät Augen und Gesichter voller Entsetzen, Angst und Schmerz hineingebrannt hat.

Vor anderthalb Jahren beim Aufstand in Bengasi war er ein gebrochener alter Mann, der sich daheim verkrochen hatte. Seit sechs Jahren befand sich sein Sohn in den Fängen von Gaddafis Schergen. Erst beim Fall von Tripolis im August 2011 konnte der junge Mann mit viel Glück unverletzt aus dem berüchtigten Gefängnis Abu Selim entkommen.

Zweites Leben

Inzwischen hat er im 200 Kilometer entfernten Ölhafen Brega Arbeit gefunden und sein Vater wirkt wie neu geboren. "Ich hoffe, dass Bengasi wieder eine friedliche Stadt wird und Libyen wieder zum Leben erwacht", sagt er und nennt den Sieg über Gaddafi "das Beste vom Besten für uns alle".

Ein Jahr liegt es zurück, dass die Rebellen vor den Toren von Sirte ihren verhassten "Bruder Führer" Muammar Gaddafi aus einem Regenwasserrohr zerrten und mit zwei Schüssen in den Kopf hinrichteten. Drei Tage später erklärte der Nationale Übergangsrat Libyen offiziell als befreit und ließ Gaddafis Leiche in der Wüste verscharren.

Für Khaled Elmansouri ist das Café Rotana ein zweites Wohnzimmer. Hier verbringt er jede freie Minute, im Gartenviertel von Bengasi, wo wohlhabendere Familien wohnen. Der 24-Jährige hat ein fein geschnittenes Gesicht und eine sanfte Stimme, an der rechten Hand trägt er einen silbernen Ring und spielt unablässig mit seinem Smartphone. "Wir brauchen endlich Sicherheit auf den Straßen und eine stabile Regierung", sagt er. Khaled ist Mitbegründer der Bürgerinitiative "Rettet Bengasi", deren Aktivisten vor vier Wochen mit einer spontanen Großdemonstration eine Wende schafften, die zwölf Monate lang niemand für möglich gehalten hätte.

Nach dem Attentat auf das amerikanische Konsulat, bei dem der US-Botschafter und drei Sicherheitsbeamte starben, bliesen Khaled Elmansouri und seine Mitstreiter zum zivilen Aufstand gegen das Treiben der bewaffneten Milizen. "Die öffentliche Sicherheit gehört in die Hände von Polizei und Armee", sagt er. Man achte die Kämpfer, respektiere ihren Mut und ihre Leistung gegen Gaddafi, aber nun müssten sie ihre Waffen abgeben.

Elf Menschen starben, als aufgebrachte Demonstranten in der Nacht darauf mit bloßen Fäusten die islamistischen Kämpfer von Ansar al-Scharia vertrieben - wie seinerzeit im Februar 2011 die Elitetruppen Gaddafis. Seitdem sind die Hardliner wie vom Erdboden verschluckt, verunsichert von der schlagartigen öffentlichen Feindseligkeit. Alle anderen Rebelleneinheiten der Hafenstadt haben sich der Armee unterstellt. Ausländische Geschäftsleute aber verließen die Stadt, nachts ist stundenlang das Brummen amerikanischer Drohnen zu hören.

Trostlos

In der Innenstadt sind die Anti-Gaddafi-Graffiti inzwischen verblasst, dafür türmt sich überall der Müll. Theater und Kinos sind geschlossen, auf dem Ruinengelände von Gaddafis ehemaliger Katiba-Festung handeln abgerissene Gestalten mit Brieftauben. Alles wirkt trostlos. Vier Jahrzehnte Missachtung und Demütigung durch das Gaddafi-Regime haben tiefe Spuren hinterlassen. Und seit Monaten stinkt es zum Himmel. Die zentrale Kläranlage der Stadt ist defekt, alle Abwässer fließen ungeklärt in Bengasis großen Binnensee. Die Picknick-Plätze sind verwaist, niemand spaziert am Abend an der Uferpromenade. Zwei der drei großen Hotels der Stadt stehen inmitten der widerlichen Fäkalwolke.

Tiefe Verwerfungen

"Gaddafi davonzujagen, das war der einfachste Teil", sagt Iman Bughaigis. "Die friedlichen Parlamentswahlen sind ein Meilenstein, alles andere bisher aber nur Krisenmanagement." Die ersten sechs Monate des Volksaufstandes war die Professorin für Zahnmedizin Sprecherin des Provisorischen Nationalrats in Bengasi, der politischen Führung der Rebellen. Gaddafi habe die Mentalität der Menschen zerstört, sagt die 51-Jährige, eine Klage, die dieser Tage oft zu hören ist.

Niemand sei es gewohnt, richtig zu arbeiten, es gebe keine verbindlichen Regeln und keine Gewissenhaftigkeit. "Gaddafis Regime hat eine verwüstete Gesellschaft hinterlassen", sagt sie. Die Professorin weiß, wovon sie spricht. Unlängst hat ihr ein Student eine Handgranate angedroht, als sie im Hörsaal schärfere Prüfungsregeln verkündete.