"Wir werden uns auf eine Föderation von Nationalstaaten hinentwicklen müssen", sagte Barroso am Mittwoch bei seiner "Rede zur Lage der Union" vor dem Europaparlament in Straßburg. Barroso präsentierte den Abgeordneten den Vorschlag der EU-Kommission für eine einheitliche europäische Bankenaufsicht im Euroraum. Diese europäische Aufsicht zu schaffen ist die oberste Priorität." Es sei der erste Schritt zu einer Banken-Union, die Vorbedingung für eine europäische Einlagensicherung und für die Banken-Abwicklung.

Barroso sagte weiters, die EU müsse aber auch einen Schritt zur Fiskalunion machen. Langfristig seien Schritte für die Vergemeinschaftung der Schulden erforderlich. Die EU-Kommission werde noch im Herbst einen Plan für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion vorlegen. Im Dezember werde er mit EZB-Chef Mario Draghi den EU-Gipfel vorbereiten, der verschiedene "Optionen" beschließen soll, sagte Barroso. "Teilweise werden Vertragsänderungen erforderlich sein", sagte der EU-Kommissionschef. Die politische Union sei das Endziel. "Dies wird einen neuen Vertrag erfordern." Es gehe nicht um die Schaffung eines europäischen Superstaates. "Ist es realistisch weiterzumachen so wie bisher?", fragte der Kommissionschef.

Die EU habe in den vergangenen Jahren zwar kühne Entscheidungen getroffen, aber nicht die Bürger, Märkte und internationale Partner überzeugt, "weil wir Zweifel zugelassen haben, ob wir wirklich zusammenstehen, sodass das europäische Projekt unumkehrbar ist", sagte Barroso. Viel zu oft seien EU-Gipfelentscheidungen wieder unterminiert worden. "Das hat mit der Essenz der Vertrauenskrise zu tun." Es sei nicht akzeptabel, die EU-Gipfel als Boxkämpfe zu präsentieren, bei denen Gegner K.O. geschlagen werden müssten.

"Europa braucht eine neue Richtung, diese kann sich nicht auf alte Ideen stützen. Europa braucht ein neues Denken", sagte Barroso. "Die Realität ist, dass in einer interdependenten Welt die Mitgliedstaaten nicht mehr in der Lage sind, den Kurs der Dinge alleine zu steuern". Aber gleichzeitig habe die EU noch nicht die erforderlichen neuen Instrumente, "wir sind in einer Übergangzeit", sagte der Portugiese.

Die Globalisierung fordere mehr europäische Integration und Demokratie. "In Europa bedeutet das, dass wir anerkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen", sagte Barroso. "Im 21. Jahrhundert laufen selbst die größten europäischen Länder Gefahr, irrelevant zu werden gegenüber den USA oder China." Europa habe "alle Trümpfe", müsse aber seine Ressourcen mobilisieren. Es sei nun Zeit, mit dem Durchrangeln in der Krise aufzuhören. Der "entscheidende Deal für Europa" bedeute, dass die EU keinen Zweifel an der Unumkehrbarkeit der Europäischen Union und des Euro lasse, dass schwächere Länder reformbereit und stärkere willens zu Solidarität seien. Dieser Deal erfordere eine "echte Wirtschaftsunion" basierend auf einer "politischen Union".

Europa brauche einen europäischen Arbeitsmarkt und müsse ehrgeiziger in Innovation, Bildung und Forschung sein, forderte Barroso. Er forderte die EU-Staaten zu, dem nächsten EU-Finanzrahmen zuzustimmen. Ein moderner europäischer Haushalt "ist das Instrument für Investitionen und Wachstum in Europa". Die Glaubwürdigkeit der EU-Staaten stehe hier auf dem Spiel. "Manche sagen, dass aufgrund der Krise das europäische Sozialmodell tot sei. Ich stimme dem nicht zu", sagte Barroso. Gerade die Länder mit den effizientesten sozialen Sicherungssystemen gehörten zu den effizientesten Volkswirtschaften weltweit.

Steuerflucht und Steuerhinterziehung müssten besser bekämpft werden, forderte Barroso. Daher werde sich die EU-Kommission für eine Revision der Zinsbesteuerungsrichtlinie, für entsprechende Abkommen mit Drittstaaten und für eine "faire Finanztransaktionssteuer" einsetzen. Barroso zeigte sich auch optimistisch, dass Griechenland im Euroraum gehalten werden könne, wenn Athen Zweifel an seinem Reformwillen aus dem Weg räume und alle Länder bereit zu helfen seien. "In diesem Herbst haben wir die Chance auf eine Kehrtwende."

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte, es gebe eine Besorgnis erregende "Tendenz zur Entparlamentarisierung" in der EU. Wer aber den Parlamentarismus als zu langsam bezeichne und glaube, das EU-Parlament nicht einbeziehen zu müssen, "wird auf den energischen Widerstand des Parlaments stoßen". Dies gelte auch für die Pläne zur Schaffung einer Bankenunion. "Der Euro ist die Währung der Union, das Europaparlament ist das Parlament der Union", betonte Schulz.