Die Luft um den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad wird dünner: Nach zahlreichen hohen Militärs und Diplomaten hat sich nun auch sein Ministerpräsident Riyad Hijab ins Ausland abgesetzt. Der Regierungschef ging über die grüne Grenze ins benachbarte Jordanien, berichtete der Nachrichtensender Al-Jazeera unter Berufung auf jordanische Sicherheitskreise. Das Regime zog unterdessen neue Truppen vor der heftig umkämpften Stadt Aleppo zusammen.

Weitere fünf flohen

Nach Angaben des Syrischen Nationalrates (SNC) sollen zwei weitere syrische Minister und drei Offiziere gemeinsam mit Hijab am Sonntag nach Jordanien geflohen sein. Auf Al-Jazeera bestätigte der Sprecher Hijabs, Mohamed Atari, der Premierminister sei desertiert und habe sich der Opposition angeschlossen. Die Flucht des Politikers sei "seit mehr als zwei Monaten geplant" gewesen, die aufständische Freie Syrische Armee (FSA) habe dabei geholfen. Hijab befinde sich nun mit seiner Familie an einem sicheren Ort.

Der Sprecher verlas auch ein Statement Hijabs: "Ich erkläre heute meine Desertion von diesem terroristischen Regime, das für zahlreiche Morde verantwortlich ist, und erkläre, dass ich mich der Revolution für Freiheit und Würde angeschlossen habe. Ich erkläre, dass ich ab heute ein Soldat dieser seligen Revolution bin."

Die Führung in Damaskus bestätigte die Flucht des Premierministers zunächst nicht. Kurz vor den Berichten darüber verbreiteten die Staatsmedien allerdings die Nachricht, dass dieser aus dem Amt entlassen worden sei. Ein Grund dafür wurde nicht genannt. Zum Übergangspremier wurde Omar Ghalawanji ernannt, der zuvor das Amt des Vize-Premiers innegehabt hatte.

Auch Offiziere haben sich abgesetzt

Desertiert ist am Montag auch ein weiterer General der syrischen Armee, wie türkische Medien berichteten. Mit ihm hätten sich weitere fünf ranghohe Offiziere sowie 30 Soldaten in die Türkei abgesetzt. Einem ehemaligen hochrangigen Offizier der syrischen Armee zufolge sind bisher vor allem Sunniten desertiert: Mehrere hundert sunnitische Offiziere hätten dem Regime bisher den Rücken gekehrt, jedoch lediglich drei Alawiten und fünf Angehörige anderer religiöser Minderheiten. Die Sunniten stellen zwar die Mehrheit der Bevölkerung, innerhalb der Armee sind jedoch nur 4.000 der 33.000 Offiziere Anhänger des sunnitischen Islams.

Hijab war erst zwei Monate im Amt. Vor seiner Ernennung zum Regierungschef am 6. Juni war Hijab Landwirtschaftsminister gewesen. Syrien hat ein autoritäres Präsidialsystem. Die Regierung hat eher technischen als politischen Charakter. Umso bemerkenswerter ist Hijabs persönliche Laufbahn. Der bisher Assad-treue Politiker ist seit 1989 Mitglied der Führung der herrschenden Baath-Partei. Als im Frühjahr 2011 die Proteste gegen Assad begannen, war er Gouverneur der Mittelmeer-Provinz Latakia, aus der die Assad-Familie stammt.

Mit Blick auf die nördliche Geschäftsmetropole Aleppo sprachen die Staatsmedien am Montag von einer bevorstehenden Entscheidungsschlacht. Angeblich sollen 25.000 Soldaten Stellung bezogen haben, wie der Rebellenkommandeur Abu Omar al-Halebi der Nachrichtenagentur dpa am Telefon sagte. Die Aufständischen meldeten schweren Artilleriebeschuss des südwestlichen Bezirks Salaheddin durch Regimetruppen.

Bei Kämpfen in der Millionenmetropole wurden am Montag binnen kurzer Zeit neun Menschen getötet, unter ihnen acht Zivilisten und ein Rebellenkommandeur, teilte die Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mit. Nach Angaben des oppositionellen Syrischen Nationalrates (SNC) wurden bei einem Massaker der Armee in der Provinz Hama rund 40 weitere Menschen getötet.

Lediglich Leichtverletzte gab es nach Angaben des syrischen Informationsministers Omran al-Zohbi hingegen bei einem Anschlag auf das Gebäude des staatlichen Fernsehens in Damaskus, das als wichtigstes Propagandainstrument in den Händen des Assad-Regimes gilt. Mitarbeiter des Senders sprachen allerdings von zwei Schwerverletzten. Auf den Sendebetrieb des Fernsehens wirkte sich der Anschlag nicht aus. Der Sender zeigte Aufnahmen von beschädigtem Mobiliar und Glasscherben aus dem dritten Stock des Gebäudes. Der Anschlag sei von "feigen Terroristen" verübt worden, die "Syrien destabilisieren wollen", sagte al-Zohbi. Zur Tat bekannte sich zunächst niemand.

Eine Sprecherin des Syrischen Nationalrates (SNC) bestätigte unterdessen in einem Interview mit dem französischen Radiosender "Europe 1", dass die Rebellen Waffen aus Katar, Saudi-Arabien und Libyen erhalten. Es handle sich dabei um "leichte und konventionelle Waffen", was die militärische Ausstattung angehe, bestehe ein großes Ungleichgewicht zwischen Aufständischen und Regime, so die Sprecherin. Der Opposition würden weiterhin die nötigen Waffen fehlen, um gegen die syrische Luftwaffe vorzugehen.

"Kriegsverbrechen und Völkermord"

Riyad Hijab will von Jordanien aus nach Katar weiterreisen. Hijab werde womöglich bereits am Dienstag oder in den folgenden Tagen nach Doha reisen, "wo die internationalen Medien ansässig sind", sagte sein Sprecher Mohammed Otri am Montag in der jordanischen Hauptstadt Amman. Ein Mitglied der syrischen Opposition in Amman sagte, Hijab werde bereits "in den kommenden Stunden", voraussichtlich noch am späten Montagabend, in Richtung Katar aufbrechen.

Hijab hatte sich in der Nacht auf Montag nach Jordanien abgesetzt. Sein Überlaufen zur Opposition begründete er nach Angaben seines Sprechers mit den "Kriegsverbrechen und dem Völkermord" in seinem Heimatland. Das syrische Staatsfernsehen hatte berichtet, Hijab sei entlassen worden.

Hijabs Weiterreise von Jordanien nach Doha begründete das syrische Oppositionsmitglied in Amman damit, dass Jordanien angesichts der "bereits angespannten Beziehungen" zu Syrien "keine Probleme" geschaffen werden sollten. Es handle sich um eine "sensible Angelegenheit" für Jordanien. Sieben Begleiter Hijabs würden in Jordanien bleiben, sagte der Oppositionelle, der Hijab nach eigener Darstellung bei der Flucht aus Syrien geholfen hatte. Zuvor hatte ein Vertreter des oppositionellen Syrischen Nationalrats gesagt, Hijab habe sich mit seiner Familie, zwei Ministern und drei Armeeoffizieren abgesetzt.

In Katar haben bereits mehrere übergelaufene Mitglieder der syrischen Führung Zuflucht gefunden, so etwa der bisherige Botschafter des Landes im Irak, Nawaf al-Fares. Das Golfemirat ist einer der schärfsten Kritiker von Syriens Staatschef Bashar al-Assad.