In Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, hat am Samstag die zweite Runde der Präsidentenwahl begonnen. Die rund 52 Millionen Stimmberechtigten haben sich zwischen Ahmed Shafik (70), dem Ex-Luftwaffenchef und letzten Premier unter dem im Vorjahr gestürzten Langzeitmachthaber Hosni Mubarak, und Mohammed Mursi (60), dem Kandidaten der Muslimbruderschaft, zu entscheiden. Bei geringerem Interesse als in der ersten Runde am 23. und 24. Mai und steigenden Sommertemperaturen verlief der Urnengang in den ersten Stunden friedlich und geordnet. Das herrschende Militär mobilisierte rund 400.000 Soldaten, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Wahl endet am Sonntagabend. Mit ersten Ergebnissen wird am Montagabend gerechnet.

Die Wahl hätte ursprünglich den Übergang zur Demokratie abschließen sollen, nachdem Massenproteste Mubarak im Februar 2011 zum Rücktritt gezwungen hatten. Doch am Donnerstag hatte das Verfassungsgericht überraschend das erst zur Jahreswende gewählte Parlament aufgelöst, in dem die islamistischen Kräfte mehr als zwei Drittel der Sitze hatten. Der regierende Oberste Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi wird auch nach der Präsidentenwahl in einer Konstellation ohne Parlament und Verfassung über alle wichtigen Fragen entscheiden. Viele Ägypter wollen deshalb die Wahl boykottieren. Andere bleiben ihr wiederum fern, weil sie Shafik als Mann des alten Regimes ablehnen, aber auch keinen islamischen Staat mit Muslimbrüdern in allen wichtigen Ämtern wollen.

Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale rief UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zu friedlichen Wahlen in Ägypten auf. Diese seien "wichtiger Teil des Übergangs zu größerer Demokratie, für die das ägyptische Volk so geduldig und friedlich gekämpft" habe, hieß es in einer am Freitagabend (Ortszeit) in New York verbreiteten Erklärung. Die US-Regierung zeigte sich "besorgt" über die Auflösung des Parlaments. Die Europäische Union forderte eine "faire und transparente" Präsidentenwahl und einen raschen Übergang zu einer Zivilregierung. Die EU werde die Stichwahl "sehr genau beobachten", hieß es in Brüssel.

Nach der Annullierung der Parlamentswahl durch das Verfassungsgericht haben linke und liberale Parteien die Armee der "Konterrevolution" bezichtigt. Militärpolizei und Militärgeheimdienst wurden nämlich wieder zur Festnahme von Zivilisten ermächtigt, ein Recht, das sie mit der Aufhebung des Ausnahmezustands Ende Mai verloren hatten. Mursi hat mit einer "neuen Revolution" gedroht, falls es Hinweise auf Wahlfälschung geben sollte. Der Großmufti von Ägypten, Ali Gomaa, hat seine Landsleute nach der Stimmabgabe aufgefordert, das Ergebnis der Präsidentenwahl zu akzeptieren.