Der 62-jährige Sozialist Jean-Marc Ayrault wird neuer französischer Regierungschef. Das teilte das Präsidialamt am Dienstag in Paris mit. Ayrault ist ein langjähriger Vertrauter des neuen Präsidenten Francois Hollande und kennt Deutschland seit einem Studium sehr gut.

Nach den Störgeräuschen im Wahlkampf kann er die deutsch-französische Achse wieder ölen: Der neue französische Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault kennt als früherer Deutschlehrer die Kultur des Nachbarlandes bestens und spricht auch dessen Sprache. Er ist damit geradezu prädestiniert, in der Europa-Politik als Brückenbauer über den Rhein hinweg zu fungieren. Der konziliante, graumelierte Pragmatiker ist ein enger Vertrauter des neuen Präsidenten Francois Hollande - und beileibe kein Unbekannter in Berlin.

Zumindest im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin, kennt man den 62-Jährigen bestens. Hollande hatte den langjährigen Fraktionschef der Sozialisten im Wahlkampf als Sonderberater eingesetzt, um sich mit den anderen Links-Parteien und damit auch den deutschen Sozialdemokraten in Europa abzustimmen. Auch zum Umfeld der deuteschen Kanzlerin Angela Merkel streckte Ayrault in seiner gewohnt diskreten Art die Fühler aus. Für Hollande blieben die Türen des Kanzleramts in Zeiten des französischen Wahlkampfs jedoch verschlossen.

Nun dürfte das heikle Thema Fiskalpakt bereits bald auf dem Tisch des sozialistischen Ministerpräsidenten im Pariser Amtssitz Matignon landen. Hollande hatte im Wahlkampf einen schärferen Ton angeschlagen, den von Berlin propagieren Sparkurs hinterfragt und eine Ergänzung des von Merkel angestoßenen Fiskalpakts um eine Wachstumskomponente gefordert. "Ayrault ist jemand, der vor allem auf den Dialog setzt. Er weiß, wie Europa tickt", sagt Jacques-Pierre Gougeon vom Forschungsinstitut Iris in Paris. Im Gespräch mit Reuters deutete der Sozialist bereits an, wie er das heiße Eisen Fiskalpakt im Dialog mit Deutschland anpacken würde: "Wir müssen darüber reden. Jede Seite muss einen Schritt auf die andere zugehen. Wir müssen einen Konsens erzielen."

Ayrault wird wie Hollande dem gemäßigten Flügel der Sozialisten zugerechnet und gilt wie der neue Staatschef als treuer Parteisoldat: Beide hatten bis dato noch kein Ministeramt inne. Doch als Abgeordneter verfügt Ayrault über immense Erfahrung. Der Hollande-Vertraute, der auch Bürgermeister der Stadt Nantes ist, sitzt bereits seit 1986 im Parlament. Der Sohn eines Fabrikarbeiters begann seine Karriere auf dem linken Flügel und wechselte später ins moderate sozialdemokratische Lager. Seine große Erfahrung in der Legislative dürfte ihm als Premier dabei helfen, eine Scharnierfunktion zwischen Regierung und Parlament zu bilden.

Ayrault, der als Bewunderer des deutschen Modells gilt, wird zugetraut, im Parlament Mehrheiten auch für harte Krisenmaßnahmen zimmern zu können - so die Linke bei den anstehenden Parlamentswahlen im Juni den Sieg erringen sollte. Bei der Stärkung der Rolle des Parlaments dürfte der Sozialist auch nach Berlin schielen, wo der Bundestag bei deutschen Beteiligungen an europäischen Rettungsmaßnahmen ein Mitspracherecht hat. "Ayrault hat das Parlament stets mit im Blick. Er hält es in Frankreich für nicht einflussreich genug", meint Iris-Experte Gougeon. Er dürfte als Premier zudem stärker ins Rampenlicht rücken als sein Vorgänger. Denn Hollande hat im Wahlkampf auch eine Stärkung der Rolle des Ministerpräsidenten angekündigt. Ayraults konservativer Vorgänger Francois Fillon war hingegen nie aus dem übermächtigen Schatten des Präsidenten Nicolas Sarkozy herausgetreten, der auch die Pflege der Beziehungen zu Deutschland zur Chefsache machte.