Vor dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien (ICTY) hat am Mittwoch der jahrelang erwartete Prozess gegen den ehemaligen Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladić, begonnen. Die "Finger Mladićs" seien in allen Verbrechen sichtbar, die seine Truppen an der Zivilbevölkerung in Bosnien verübt hätten, hielt der Ankläger Dermot Groome zum Prozessauftakt fest. Die Verlesung der Anklageschrift war eigentlich mit sechs Stunden anberaumt gewesen, konnte aber schon nach etwas mehr als vier Stunden beendet werden. Groome rief dabei einige der dramatischsten und brutalsten Kriegsverbrechen aus dem dreijährigen Bosnien-Krieg (1992-95) in Erinnerung.

Die von bosnisch-serbischen Truppen verübten Verbrechen machten nach Worten des Anklägers den Bestandteil eines Plans aus, der darauf abzielte, Bosnien zu zerschlagen und auf dessen Gebiet einen serbischen Staat zu errichten. Die strategischen Pläne des früheren bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic vom Mai 1992 hatten zum Ziel, die serbische Bevölkerung von der nichtserbischen - Bosniaken (Muslime) und Kroaten - zu trennen, das Gebiet, das Serben als ihr eigenes betrachtet hatten, ethnisch zu säubern und innerhalb Bosniens die serbischen Gebiete untereinander zu verknüpfen und eine sichere Verbindung mit Serbien herzustellen.

Anklage wegen Massaker in Srebrenica

Mladić habe von Anfang an gewusst, dass die Umsetzung des Projekts eines serbischen Bosnien eine Frage der Deportation und der ethnischen Säuberung war", so Groome. "Die Führer der bosnischen Serben haben mit Angriffen auf ihre Mitbürger in Bosnien begonnen, nur weil sie anderer Religion oder Volksgruppe waren", erläuterte der Ankläger.

Detailliert beschrieb Groome jeden Teil des strategischen Plans der bosnischen Serben zur Errichtung eines eigenen Staat. Er schilderte die 44-monatige Beschießung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, auch die Aktivitäten der Scharfschützen. Sie verfolgten das Ziel, die Zivilbevölkerung einzuschüchtern und zu terrorisieren, sagte Groome, der auch den Tod eines siebenjährigen Buben in Sarajevo beschrieb. Er war von einem Scharfschützen getötet worden, als er an der Seite seiner Mutter eine Straße überquerte.

Die Anklage belastet Mladić in elf Punkten unter anderem für das Massaker in Srebrenica, wo von bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1994 mehr als 7.000 bosniakische Männer vor Augen der Blauhelmen aussortiert und später ermordet wurden. Es geht um das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Genozid wird dem ehemaligen bosnisch-serbischen Militärchef auch in sieben weiteren Gemeinden - Bratunac, Foca, Kljuc, Prijedo, Sanski Most, Vlasenica und Zvornik - angelastet. Weitere Anklagepunkte betreffen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Verstoße gegen die Kriegsgepflogenheiten. Es geht um die Gefangenenlager, aber auch um die Geiselnahme von UNO-Soldaten.

Kommunikation per Zeichensprache

Am Mittwoch erschien der Angeklagte im Gerichtssaal im dunkelgrauem Anzug, hellem Hemd mit dunkler gemusterter Krawate. Während Groomes Aussagen machte er Er machte sich immer wieder Notizen. Der 70-jährige Mladić, über dessen angeschlagene Gesundheit seit der Festnahme im Mai 2011 häufig spekuliert wurde, wirkte zu Prozessbeginn körperlich gesund und ausgeruht.

Beim Betreten des Saales hob Mladić die Daumen und klatschte in die Hände - ebenso bei einigen Ausführungen des Anklägers. Mittels Zeichensprache kommunizierte er offenbar auch mit dem Publikum, wo sich auch Familienangehörige der Opfer befanden. Der Angeklagte und das Publikum wurden nach einer der Verhandlungspausen vom Senatsvorsitzenden Alphons Orie "wegen unanständiger Kommunikation" gemahnt.

Richter Orie kündigte auch die Möglichkeit an, die Zeugenanhörung wegen eines Fehlers der Ankläger zu verschieben. Die Anklage hatte der Verteidigung wichtige Beweisunterlagen erst mit großer Verspätung zugestellt. Laut dem ursprünglichen Plan soll ein erster Zeuge, Elvedin Pasic, der zum Kriegsbeginn gerade 14 Jahre alt war, am 29. Mai aussagen. Die Ankläger wollen ihre Beweise mit Hilfe von 413 Zeugen vorführen. Vorgeladen werden eigentlich nur 148, andere haben bereits schriftliche Aussagen gemacht. Für die Beweisvorführung sind rund 200 Stunden vorgesehen.

In Bosnien-Herzegowina wurde der Prozessbeginn in beiden Landesteilen von mehreren TV-Sendern direkt übertragen. In Serbien hingegen war das Interesse am Prozess sehr überschaubar.