Was nach dem sogenannten arabischen Frühling kommen könnte und welche Prozesse bisher in der Region in Gang gesetzt wurden, war Thema einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in Wien. "Es war eine Illusion zu glauben, dass jetzt eine liberale Demokratie kommt", sagte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für internationale Politik in Hinblick auf die derzeitigen Entwicklungen in der arabischen Welt. Allerdings habe es "enorme Umbrüche" bei salafistischen Gruppen gegeben, denn mittlerweile integrierten sie sich in ein demokratisches System, sagte er unter Verweis auf die salafistische Partei des Lichts in Ägypten.

Zu den islamischen und islamistischen Bewegungen im Allgemeinen sagte Tarafa Baghajati, Kulturreferent der islamischen Religionsgemeinde in Wien, dass zuvor die Losung "der Islam ist die Lösung" gegolten habe. Derzeit seien diese allerdings von dem Gedanken abgekommen, "weil nicht der Islam, sondern die Muslime Politik machen werden". Die Grüne Referentin für Außen- und Entwicklungspolitik Lenea Ruevers betonte, man müsse keinesfalls über eine "islamische Gefahr" sprechen, da die islamistischen Parteien Ägyptens beispielsweise "Ja" zu einem demokratischen System gesagt hätten. Allerdings steht laut Günay noch nicht fest, ob sie diese Zustimmung bei einer klaren Mehrheit beibehalten würden.

Zu Ägypten meinte Baghajati, dass er trotz der offenbaren Demokratie-Willigkeit der Salafisten "beunruhigende Signale" sehe. Hierbei verwies er auf die Verhaftung des berühmten und in der arabischen Welt sehr beliebten Schauspielers Adel Imam aufgrund seiner "angeblich den Islam beleidigenden Filme". Auch die geringe Anzahl von Frauen im ägyptischen Parlament beunruhige ihn in Hinblick auf Frauenrechte und Gleichberechtigung. Zu diesem Thema betonte Ruevers, dass man "mit dem Islam, nicht gegen den Islam" arbeiten müsse. Im arabischen Raum könne u.a. das Argument, dass der islamische Prophet Mohammed eine verwitwete Geschäftsfrau zur Frau nahm, hinsichtlich Frauenrechte und Gleichberechtigung mehr als das Argument der UNO-Menschenrechtscharta bewirken.

Baghajati betonte, dass sich in der gesamten Region Grundlegendes geändert habe. Viele Menschen in den arabischen Ländern hätten ihre Angst vor dem Tod, der Folter oder um ihre Familie verloren. Dabei verwies er auf die aktuelle Lage in Syrien, wo sich Demonstranten einer akuten Lebensgefahr aussetzten. Auch sei in einigen Ländern der "Personenkult" um die Regenten gefallen und somit eine Art dynastischer Herrschaftsübergabe unwiederbringlich gebrochen worden.

Zur Frage warum in der arabischen Region die republikanische Regenten gestürzt wurden, Könige allerdings ihren Thron nicht verlassen mussten, verwies der "Furche"-Herausgeber Heinz Nussbaumer auf das Argument der "Ölstaaten" mit einer Art erkaufter Ruhe. In Jordanien und Marokko sei dieses Argument jedoch nicht zutreffend. Reuvers erklärte dies dadurch, dass u.a. König Abdullah II. mit der Zustimmung zu Reformen den Protesten seines Volkes "den Wind aus den Segeln" genommen habe. Auch wenn diese Reformen minimal ausgefallen seien, habe dieses Verhalten zu einer Eskalationsvermeidung geführt.

Hinsichtlich der Rolle Europas und Österreichs forderte Reuvers von der Europäischen Union, dass es sich als Gesprächspartner und Begleiter anbiete. Auch Österreich könne eine "große Rolle" spielen, indem es Expertise anbiete, betonte sie. Dass Österreich bisher vor finanzielle Hilfe geleistet habe, kritisierte Reuvers heftig. Baghajati riet ganz klar von einer "Themenführerschaft" Europas bei den derzeitigen Entwicklungen ab und legte "eine gemeinsame Politik mit Völkern ans Herz" - im Gegensatz zu Zusammenarbeit mit Diktatoren. Nussbaumer bedauerte, dass Österreich seine Möglichkeiten intensive Beziehungen zum arabischen Raum aufrecht zu erhalten "nicht genutzt" habe.

Zu den zukünftigen Entwicklungen im arabischen Raum zeigte sich Nussbaumer überzeugt, dass sich die Zukunft um ein "muslimisch geprägtes" System und einen "Abwehrkampf des Militärs" bündeln werde. Abgesehen davon halte er Grenzverschiebungen - vor allem bei Syrien, dem Jemen und bei Libyen für "möglich". Ruevers sprach von einem "preliminären Fazit", da die Prozesse in der Region noch nicht abgeschlossen seien. "In drei bis vier Monaten ist alles vielleicht ganz anders."